Christoph »wechselt die Fronten«. Vom extremen Soloradler durch die Wüste zum organisierten Mitfahrer einer fünftägigen Bustour zu den weltweit bekannten Landschafshöhepunkten Zentralaustraliens. Habe ich »Chamäleonqualitäten«? Die ersten ein, zwei Tage lassen mich daran zweifeln. Da rauscht der Bus an malerisch wirkenden Orten einfach so vorbei, alles ist auf die Minute durchgeplant, für Eventualitäten sowie geruhsame Momente bleibt da kein Platz. Immer weiter, oft aber nur stupides Sitzen im schlecht klimatisierten und sehr engen Bus. Wir sind 13 Leute. Aus sieben europäischen Ländern und zwei Australier sind auch dabei. Die Meisten ziemlich genau in meinem Alter. Unser »Guide« Ernie ist ein interessanter Typ: 47 Jahre, mit langen Haaren, die mit einem roten Band zu einem Zopf gebunden sind. Bis vor zehn Jahren hat er in Brisbane, einer Millionenstadt gewohnt. Er sei ein typischer »Aussie« gewesen, der mit den Aborigines und auch mit den harten Lebensbedingungen im Outback nichts hatte anfangen können. Nach seinem ersten Besuch im Outback hatte er noch beschlossen, nie mehr hierher zu kommen: »Da schwitzt du nur, es ist staubig, so dass du nur dreckig wirst und die Aborigines saufen und stinken bloß«. Zehn Jahre später ein gewandelter Mann. »Das hat das Outback bewirkt. In der Stadt zählt nur das Geld, hier aber zählt nur Wasser, denn Geld kannst du nicht trinken.“ Er zog in eine Aborigine-Community, bevor er nach Alice kam und hier zuerst als Koch und dann auf Drängen seines Unternehmens als Tour-Guide arbeitete. Gleich im ersten persönlichen Gespräch beginnen wir zu philosophieren. Wir sind verschieden und zudem bin ich sicher nicht der optimale Teilnehmer einer solchen Tour. Ich bin halt beim Reisen gewohnt, machen zu können, was ich gerade will. So fotografiere ich bei Wanderungen an Stellen, die mir gefallen, was aber die ganze Gruppe aufhält und somit den Zeitplan in Gefahr bringt. Zudem habe ich nach der langen Zeit, in der ich nun alleine gereist bin, ein großes Bedürfnis aufgebaut, auch mal wieder mit anderen Leuten zu »schwätzen« sowie mal wieder Unsinn zu machen. Letzteres bringt öfters mal Stimmung in die Truppe, lenkt aber die Konzentration von den gerade angesagten Dingen ab. Dennoch versteht Ernie mich und wir akzeptieren uns nicht nur, sondern wir schätzen uns sogar von Beginn an. Die Tage verlaufen nach einem ähnlichen Muster: Spätestens bei der Dämmerung reißt uns Ernie aus den Träumen. So schnell als möglich geht es los zu den interessantesten Punkten, um diese erstens noch vor der größten Hitze sowie auch noch bei interessanten Lichtbedingungen anzutreffen. Dann meist ein längerer Bustransfer. Zwischendrin eine Zigarettenpause für Ernie, wobei er uns dabei dann auch immer wieder Einblicke in die hiesige Flora und Fauna bietet. So geht das dann bis Sonnenuntergang dahin, dann erreichen wir unseren Zeltplatz. Meist sehr einfach eingerichtet, aber wunderbar gelegen. Das Abendessen muss zubereitet werden, mit Holzfeuer. Nun beginnt auch die »Bierzeit«, wobei sich Ernie dabei leider komplett raushält, da er schon seit Jahren keinen Alkohol mehr trinkt. Dafür bleibt er immer noch eine Weile in der Runde, im Gegensatz zu vielen Anderen, die sich schon früh in die Heia verziehen, da sie vom Tag »geschlaucht« sind. Immer die gleichen bleiben bis zum Schluss übrig: Ernie, Jean Luc, der hervorragend Deutsch sprechende Franzose und Ralph aus Aarau (wo Sforza und Ratinho »herkommen«) in der Schweiz, mit dem ich mich am Besten verstehe. Manche interessanten Gespräche, viel erheiterndes »Gebabbel«. Trotz allem stehen die »Besichtigungen« im Mittelpunkt. Da ist natürlich Australiens größte Touristenattraktion, der völlig isoliert aus der Ebene herausragende Uluru (= Ayers Rock). Er ist ein Heiligtum der Aborigines, die seit ca. 60 000 Jahren hier leben. Und dann bekamen sie von den gerade eingefallenen Europäern alles weggenommen. Seit 12 Jahren gehört ihnen das Land hier wieder, allerdings nur unter bestimmten Bedingungen, die ihnen die australische Regierung vorschreibt. Das Faszinierendste des Uluru ist der Wechsel der Farben je nach Sonnenstand. So werden Sonnenauf- und untergang hier auch regelrecht zelebriert. In fast schon dekadenter Art. In einer bestimmten Zone sich aufhaltend, schlürfen die meisten Touristen hier bei diesen Anlässen Champagner. Der 9 km lange Rundweg um den Felsen gehört für mich zu den Höhepunkten unseres Trips. Es geht vorbei an mehreren Höhlen. Immer wieder zeigt sich der Berg von einer anderen Seite. Beeindruckende Formen in immer wieder anderen Belichtungen. Eine Fundgrube für einen Fotografen. Auf die Besteigung des Berges habe ich verzichtet, da dies von den Aborigines nicht erwünscht wird. Für sie ist der Berg heilig und soll darum nicht berührt werden. Das steht auch in ihrem Gesetz. So tut es mir schon in der Seele weh, viele Touristen dennoch den Berg besteigen zu sehen. So wenig Respekt vor Einheimischen – das ist immer wieder das gleiche übel des Tourismus. Einen Abstecher machen wir auch in das Kulturzentrum der Aborigines. Es wird manches über ihre Lebensweise hier erklärt. Filme, Werkzeuge, Kunstwerke u. v. m. von ihnen wird hier gezeigt. Das »Rätsel Aborigines« löst sich bei mir nicht, aber es weckt noch mehr Interesse bei mir. Typisch für touristische Einrichtungen, wurde 1984 am Rande dieses Nationalparks ein großes Touristendorf (»Ayers Rock Resort«) mitten im Outback errichtet. Was ein über Hunderte von km nur durch (Ein-)öde fahrender Radler darüber denkt, dürfte eindeutig sein. Gut 150 Millionen DM kostete das Projekt mit Hotels von der Luxus- (über 400 DM pro Nacht) bis zur Lodge-Kategorie. Hauptsache, mal hier gewesen zu sein. Viele kommen auch nur per Flieger von einen der Großstädte hierher und verschwinden nach einem Blitzbesuch am Ayers Rock auch wieder auf dem Luftweg. Für uns geht es aber weiter zur Formation Katajuta (= »Berg der vielen Köpfe«), besser unter dem westlichen Namen »Olgas« bekannt. 32 km vom Uluru entfernt, wachsen 36 runde Sandsteinkuppen aus dem sandigen Boden. Für viele Besucher sind die von Schluchten durchzogenen, maximal 546 m hohen Katajuta interessanter als der Uluru. Umso enttäuschter bin ich, als wir sehen, dass uns der Zugang zum Zentrum dieser Felsformation, mitten zwischen den imposanten Sandsteinen, aus Sicherheitsgründen (das Limit von 36° C ist überschritten und so fürchtet man gerade um die vielen älteren Touristen, die solche Bedingungen leicht »umhauen« könnten) versperrt bleibt. Wir können uns Katajuta also nur von der Frontalansicht anschauen. Mist, eines der Highlights wird einfach so gestrichen! V. a. die verpassten Dias liegen mir schwer im Magen. Von hier aus geht es abseits der touristischen Trampelpfade. Zunächst zu »Watarrka« (= Kings Canyon). Nach einem an sich schon interessanten und von schönen Felsformationen umgebenen Aufstieg gelangen wir zu den fast 200 m tiefen Steilwänden. Deren auffällige Musterungen nehmen in der Sonne alle denkbaren Gelb- und Rottöne an. Im Tal dann totaler Wechsel: Kleiner See und darum auch viel Grün (»Garden of Eden«). Weiter ins »Palm Valley«. Augrund eines fast nie austrocknenden Flusses können in diesem Tal Palmen wachsen. Und das inmitten des Outback! Unser einzig besuchtes Städtchen ist Hermannsburg. Eine 1877 von Lutheranern gegründete Missionsstation ist heute eine Aborigines-Siedlung mit 400 Einwohnern. Berühmt wurde der Ort durch Albert Namatjira, der Aquarelle im westlichen Stil malte. Die dortige Galerie besuchen wir auch, mir gefallen die meist naturalistisch gemalten Bilder aber nicht. Nun ist auch längst die Zeit der »dirt roads« (z. B. Mereenie Loup Road) angebrochen. Immer wieder werde ich an den Friendship-Highway von Lhasa nach Kathmandu erinnert.
Ich bin froh, gemütlich im Bus sitzen zu können. Am Schluss geht es dann noch in die West McDonnell Ranges, die teilweise in einem hellen Grün erleuchten. Wenig Bäume, aber doch viele Pflanzen. Die Höhepunkte hier sind für mich die »waterholes«,die meist von phantastischen Felsformationen umgeben sind. Beeindruckend finde ich vor allem »Redbank Gorge«. Wir schwimmen an einem kleinen See los, kommen bald in eine tiefe Schlucht, in der es auch ganz schön kühl ist. Oft verengt sich der Weg auf nicht einmal einen Meter, Schwimmen wird von »Krabbeln« und Klettern abgelöst. Leider, leider war hier kein Fotoapparat mitzunehmen. Die Farben der Felsen, die engen, aber hohen Schluchten, einfach Wahnsinn! Ich habe so was noch nie gesehen! Aber für mich das Wichtigste war, noch ein bisschen tiefer in Kultur und Leben der Aborigines einzudringen, ganz nach Fernandos Ausspruch: »Landschaften habe ich viele gesehen, die Menschen sind mir wichtig«. Neben dem Kulturcenter am Uluru hatten wir Gespräch und übernachtung in der Nähe einer Aborigine-Community. Wir erfuhren so manches über ihre heutige Lebensweise. über ihr Gesetz und die Sanktionen bei übertretung dieses Gesetzes (bis zur Todesstrafe oder dem Ausschluss aus der Community; übrigens seien die Aborigines, die man in den Städten sieht, meist solche von ihrer Kommune Ausgestoßene), über die strikte Trennung der Bereiche für Männer und Frauen, über ihre Jagd, Musik, Tänze, Kultur und Religion. Derjenige, der uns darüber informiert, ist vielleicht ein gutes Beispiel für die heutige Problematik. Es ist Keith. 43 Jahre alt, in Jeans und Trägerhemd gekleidet, am Abend leicht angetrunken, fließend Englisch sprechend. Er scheint versucht zu haben, sich anzupassen, ohne seine Kultur aufzugeben. Weiterhin pflegt er auch seine Kultur. Er lebt natürlich auch weiterhin in seiner Kommune. Er scheint auch durchaus noch stolz auf die Traditionen seiner Vorfahren zu sein. Aber: ER SCHEINT ZWISCHEN DIE FRONTEN, sprich zwischen die Kulturen, GERATEN ZU SEIN! Zufällig treffen wir ihn am nächsten Tag wieder in einer einige km entfernten Kneipe, mit Bier in der Hand. Was wird die Zukunft der Aborigines sein? Gibt es überhaupt eine? Schwer zu beurteilen. Es gibt viele verschiedene Stämme der Aborigines. Einer hat schon beschlossen, auszusterben, keine Nachkommen mehr zu zeugen. Die australische Regierung zahlt viel Geld an sie, unterstützt sie aber nicht wirklich. Jemand, der Kultur und Land verloren hat, kann mit Geld nicht glücklich gemacht werden. Striktes Alkoholverbot? Hat wohl auch keine reelle Chance, durchgesetzt werden zu können, da dann Alkohol natürlich auch für die Weißen verboten werden müsste und das werden die sich nicht gefallen lassen. Größere Reservate, in die dann auch keine Weiße rein dürfen? Vielleicht. So bliebe es zwar weiterhin beim Nebeneinander der schwarzen und weißen Bevölkerung, aber wenigstens hätten die Aborigines ihre Ruhe vor den Weißen. Nur die Zukunft wird zeigen, ob es eine solche auch noch für die Aborigines gibt. Es ist ihnen aus ganzem Herzen zu wünschen. Sie sind seit ca. 60 000 Jahren hier (die Weißen nur 0,33 Prozent dieser Zeitspanne!) und ihre Kultur ist so reichhaltig. Fazit der Tour: Nach »Startschwierigkeiten« habe ich noch eine gute, informative Zeit erlebt. Auch nette Leute kennen gelernt, mit denen es zunehmend lustiger wurde. V. a. Jean-Luc sowie Patrizia und Ralph wünsche ich von Herzen eine gute Weiterreise und ein fröhliches Wiedersehen im nächsten März!