Mal wieder werde ich mitten in der Nacht (4:40 Uhr) vom hiesigen Muhazzin geweckt. Man stelle sich einmal vor, in Deutschland würden fünfmal täglich die Gebete des Pfarrers in allen Straßen unüberhörbar per Lautsprecher übertragen. Mein Zug soll um 9:00 Uhr abfahren. Ich meine, rechtzeitig losgefahren zu sein. Aber der hier herrschende Stadtverkehr ist in der Rushhour noch chaotischer als ohnehin. Alles ist verstopft, jeder fährt so, wie er wohl gerade am schnellsten vorwärts kommt. So geht alles kreuz und quer und ich wundere mich wieder, dass nichts passiert. Ich komme auch noch rechtzeitig zum Bahnhof, zumal der Zug eh erst mit über halbstündiger Verspätung losfährt. übrigens noch eine interessante Bemerkung zu den hiesigen öffentlichen Verkehrsmitteln: Die Busse fahren, wenn sie (über-)voll sind. Nicht früher und nicht später. Man kauft für manche Busse auch keine Tickets, sondern jeder im Bus gibt (von hinten nach vorne) einen entsprechenden Betrag weiter. Auch gibt es keine Haltestellen, sondern man ruft einfach laut, wenn man aussteigen will. Mein Zug kommt bereits aus Istanbul und geht bis ganz in den Osten der Türkei (Kars). Dafür (ca. 2000 km) braucht er über zwei Tage und Nächte. Ich treffe skurrile und gleichzeitig interessante Typen. Einer z. B. gibt sich als Uni-Prof. aus und fällt auch durch seine – wenn auch geringen – Englischkenntnisse auf. Aber seine total zerfetzten Turnschuhe, die sogar schon ihre Schnürsenkel verloren haben, lassen mich ebenso an seiner Identität zweifeln wie seine übrigen verlumpten und muffelnden Klamotten. Irgendwie ist er mir zwar sehr sympathisch, dennoch schlage ich seine Einladung aus, in ca. zwei Wochen bei ihm zu Hause zu übernachten. Denn, wie mir Pindar erzählt, solle man gerade im Zug sehr aufpassen, da es einige Leute gäbe, die einem mit Schlafmittel gemixtes Essen und Trinken verabreichten und einen dann – während man den Schlaf des Gerechten genießt – ausrauben. Not lässt eben erfinderisch werden. Auch wollen einige Leute immer wieder DM, die begehrte »harte« Währung. Ich gebe vor, nur (nahezu wertlose) türkische Lira mit mir zu führen. Die Landschaft wechselt ständig: Mal bizarre, karge Berge, dann wieder sanfte Hügel, auf denen Landwirtschaft betrieben wird. Der Zug kommt mit über einer Stunde Verspätung in Kayseri an. Glücklich empfange ich mein Rad aus dem Gepäckwagen und freue mich, nach knapp vier Ruhetagen endlich mal wieder Rad fahren zu können. Doch es ist wie verhext: Schon wieder Gegenwind! Zudem ist es so trüb, dass mein nicht besonders lichtempfindlicher einfacher Fotoapparat keine Fotos von der mich so faszinierenden Landschaft machen kann. Auch wird mir der starke Kontrast zu den Tagen in Ankara bewusst: Dort konnte ich unerkannt in der Großstadt untertauchen, hier verkörpere ich wieder in jedem Dorf die Sensation der Woche: Alle wollen mit mir sprechen, wollen mein Rad berühren und am liebsten noch ein bisschen damit fahren. Ich bin aber etwas genervt, auch weil ich überraschenderweise noch in die Dunkelheit komme und ausgerechnet heute mein Licht nicht finde. Dies wird v. a. auf der ca. 5 km langen Schlussabfahrt nach ürgüp, einem Zentrum Kappadokiens, heftig. Da ich kein Schlagloch erkennen kann, muss ich ganz langsam fahren. Die Bremsen glühen. Doch als ich recht schnell einen schön gelegenen Campingplatz entdecke, bin ich wieder happy. Ganz alleine auf dem Campingplatz gehe ich früh zu Bett.