08. August

So frühstücken wir drei Tibetradler heute wenigstens alle noch mal gemeinsam. Martin scheint es nicht mehr so richtig nach Hause zu ziehen. Vielleicht ist es das typische Phänomen aller »harten und verrückten Reisen«, die man unterwegs verflucht, die aber sehr schnell nach ihrer Beendigung immer positiver betrachtet werden. Aber alles hat ein Ende und so verabschieden wir uns. Martin, vielleicht sehen wir uns im März schon wieder?! Mich zieht es dann wieder in den Internetshop. Diesmal ohne Pausen. Der Shop hat 9:30 Stunden auf und ich bin 9:30 Stunden dort. Ausdauersportler halt. Aber nach einigen Stunden spüre ich in der rechten Wade eine Art »leichte Verkrampfung«, schenke dem aber keine große Beachtung, da es zu der Kategorie Beschwerden zu gehören scheint, die erträglich sind und die eben öfters auch mal vorkommen. Diese Einstellung ändere ich auch dann nicht großartig, als ich bei meiner einzigen kurzen Pause beim Gang auf die Toilette doch schon stärkere Schmerzen verspüre. Als ich dann am Abend aufstehe, um zurück zum Hotel zu gehen, schmerzt dies stark und ich kann den Weg nur humpelnd zurücklegen. Verdammt, was habe ich mir da schon wieder eingefangen??? Ich bin mit Fernando verabredet. Die m zum Restaurant werden länger und länger. Aber auch das Sitzen ist nicht viel angenehmer. So viel ich auch versuche, mein rechtes Bein zu entlasten, es schmerzt zunehmend. Und zwar manchmal so, dass ich Fernando gar nicht folgen kann, was er erzählt! Hat er da nicht gerade was von einer ernsthaften Krankheit erzählt, bei der ich mindestens zwei Monate mit dem Rad fahren pausieren müsste? Möglicherweise sogar das Ende meines Trips??? NEIN, das »darf« nicht sein! Jetzt, da ich gerade meine, einigermaßen gelernt zu haben, wie ich außerhalb von westlichen Ländern zu reisen habe und dadurch auf den Geschmack gekommen bin und mich bereits riesig auf Südostasien und die folgenden Abschnitte freue, soll es vorbei sein?! In diesem Moment spüre ich erst, was mir diese Tour und ihre Fortsetzung wert ist. Vor knapp drei Monaten, als ich im Osten der Türkei umdrehte, um nach Hause zurückzukehren, hätte mich der Abbruch der Reise nicht im Innersten gestört. Denn ich hatte, auch durch die vielen Gerüchte zu Hause von Freunden, Bekannten und Eltern, die noch im Hinterkopf verankert waren, plötzlich richtige Angst bekommen, v. a. vor der »großen und so unbekannten Welt«. Aber inzwischen habe ich in der Praxis erlebt, was ich mir zuvor auch schon – ohne irgendwelche Erfahrungen – gedacht habe: üBERALL AUF DER WELT kann man sich fortbewegen, trifft man freundliche und liebe sowie auch unsympathische Zeitgenossen, überall sollte man mit großem Respekt reisen und Vorsicht walten lassen. Und nicht zuletzt kann man überall viel lernen! Von der Natur, der Kultur, den Einheimischen und auch von anderen Touristen. Einiges lernen über sich, die Menschheit und nicht zuletzt über den Sinn des Lebens. Viele dieser Erfahrungen sind nicht einfach zu beschreiben, aber man kann sie fühlen. Nein, mir ist klar, wenn es nur irgendwie geht, will ich meine Reise fortsetzen und wenn es als Radfahrer nicht möglich ist, dann eben als »normaler« Rucksackreisender. Aber die Realität holt mich ein: Im Restaurant kann ich vor lauter Schmerzen nicht mehr sitzen, ich muss zurück zum Hotel. Aber als ich aufstehen will, die totale Katastrophe: Ich kann alleine nicht mehr gehen, Fernando muss mich stützen! Ich könnte weinen, vor Schmerzen, vor Trauer und vor Wut. Da habe ich gerade die Hölle von Tibet überstanden und ich dachte, dass es jetzt nur noch aufwärts gehen kann und dann das. Inzwischen ist mir klar, dass dies keine normalen Muskelbeschwerden sein können. Das »muss mehr« sein. Einen Arzt werde ich auch brauchen. Die Treppen zu meinem im zweiten Stock des Hotels gelegenen Zimmer wollen kein Ende nehmen. Dann kann ich mich endlich aufs Bett legen. Und nach 10 Minuten Liegen beginnen die Schmerzen immer mehr nachzulassen. So kann ich sogar gut schlafen!