Bald schon fliegen wir über die »Datumsgrenze«, das heißt, dass ich zum zweiten Mal einen 10. Februar 1999 erleben werde, auch wenn die »zweite Ausgabe« sicher eine ganz andere als die »erste Auflage« sein wird. Zwischendrin kann ich immer wieder ein bisschen schlafen. Wir überfliegen die berühmten polynesischen Inseln, z. B. Samoa, Fiji, Tahiti, Cook und natürlich Hawaii. Schade, dass ich es mir aufgrund meines zeitlichen Rückstands auf die »Marschtabelle« nicht mehr erlauben kann, hier noch einen Abstecher einzulegen. Nach 11:20 Stunden Flug Landung in Los Angeles (L.A. ). Der vierte Kontinent meiner Weltumradelung ist erreicht. Eine gute Dreiviertelstunde müssen wir noch warten, bis wir endlich aussteigen dürfen. Aber das Wichtigste: Gepäck und Rad sind wieder unbeschädigt geblieben. Nachdenklich stimmt mich noch die auf der »Immigration Card« gestellte Frage nach einer in irgendeiner Form gearteten Mittäterschaft in Nazi-Deutschland. In keinem anderen Land ist mir diese Frage zuvor gestellt worden. Ein »Ja« (was bedeutet aber genau »Mittäterschaft«?) hat im Normalfall die Einreiseverweigerung zur Folge. Ich frage nach einem Backpacker, bekomme von der Touri-Info nach anfänglichem Achselzucken doch noch eine Adresse empfohlen. Unüberschaubares durcheinander von unzähligen Bussen, Shuttles, Pick-ups und normalen Autos herrscht vor dem Flughafen. Aber Gott sei Dank gibt es hauptamtliche Leute, die einem Touri in dessen Verwirrungen helfen, das richtige Gefährt für ihn zu finden. Mein Rad will niemand mitnehmen, so bin ich froh, als es doch noch jemand macht, auch wenn dieser 10 $ dafür haben will. Auf der Fahrt zum Hostel erste Eindrücke von L.A. , jener Supermetropole aus fünf Regierungsbezirken, 94(!) einzelnen Städten, 15 Millionen Einwohnern, 1200 km zehnspuriger Autobahnen, 19 TV- und fast 100 Radiosendern, einer größeren Fläche als die des gesamten Ruhrgebiets und einem höheren Bruttosozialprodukts als das ganz Australiens. Autos und Straßen. Ein richtiges Zentrum lässt sich gar nicht ausmachen. Unendliches Aneinander von Palmenhainen, was mich doch überrascht, da sich eigentlich die Wüste bis hierher ausbreiten müsste. Aber das benötigte Wasser wird aus Nordkalifornien über eine Gebirgskette in die von Menschenhand geschaffene künstliche Superoase L.A. gepumpt, was alleine so viel Energie verschlingt wie San Fransisco insgesamt verbraucht. Den kompletten Nachmittag bin ich kreuz und quer durch die an mein Hostel angrenzenden Eingemeindungen unterwegs, um noch meine Abfahrt für morgen vorzubereiten. Ich hole Geld (an diese Münzen und Zahlungseinheiten werde ich mich erst wieder gewöhnen müssen), eine Kalifornien-Straßenkarte, etwas zum »Beißen und Herunterspülen«, zwei Expander (hatte meine vor einer Woche im Bus liegen lassen), ein bisschen Infomaterial über das US-Backpackerangebot (bei weitem nicht so groß wie in Australien und Neuseeland; zumindest hier auch nicht so wohnfreundlich und sauber, ich schlafe hier in einem 32-Betten-Dormitorium und zahle dennoch mehr als ich das je in einem Backpacker in Australien und Neuseeland tat) und zu guter Letzt finde ich nach dreiwöchiger Suche endlich jemanden, der meine Kamera reparieren kann. Das Verbindungsstück zwischen Gehäuse und Objektiv war lose, womit Letzteres immer mehr wackelte. Nun repariert es Niclas, ein Deutsch-Argentinier, der seit 33 Jahren in L.A. lebt. Er scheint richtig froh zu sein, mal wieder einen deutschen Touri zu treffen, wir unterhalten uns lange. Er vertraut mir seine halbe Lebensgeschichte (von dem im Krieg gefallenen Vater über eine Jugendreise ans Schwarze Meer, seinen verschiedenen Lebensabschnitten in mehreren Ländern und seine Familie bis hin zur heute »täglich selben Arbeit« – »In meinem Leben wird nicht mehr viel passieren«) an. Jetzt fehlt mir nur noch eine Zeltunterlage, dann wäre ich wieder perfekt ausgerüstet. Vieles scheint hier ähnlich wie in Australien und Neuseeland: Das (Fastfood-)Essen, das recht lockere Lebensgefühl, das in kleinem Haus, Gärtchen sowie Grill und Barbecue bestehende »Familienglück« und wohl noch vieles mehr. Aber auch Unterschiede sind festzustellen: Ich bin nun wieder – nach knapp vier Monaten – auf der nördlichen Erdhalbkugel und damit wird der Winter – spät, aber immerhin – versuchen, mich doch noch in den Griff zu bekommen. Am Mittag sind es immerhin 13° C, aber am Abend wird es empfindlich frisch und zudem werde ich mich ja bald in Höhen um über 2000 m bewegen, mitten durch Skigebiete. Entfernungen werden nun nicht mehr in km, sondern in Meilen, Temperaturen nicht mehr in Celsius, sondern in »Fahrenheit« (wie viel sind 49 Fahrenheit; soviel hatte es nämlich bei meiner Ankunft am Flughafen) gemessen. Und nicht zuletzt fährt man hier wieder im Rechtsverkehr, für mich hoffentlich keine zu ungewohnte Sache, habe ich seit China und damit seit über einem halben Jahr doch nur noch die »entgegen gesetzte Lösung« (fast tagtäglich) erlebt. Und der Mensch ist ja bekanntermaßen ein Gewohnheitstier. Man spürt in den Straßen starken südamerikanischen Einfluss, es wird viel Spanisch gesprochen. Mexiko etwa ist auch keine 200 km entfernt. überhaupt lässt sich hier ein Schmelztiegel unterschiedlicher Kulturen und Nationen feststellen. Eines aber scheint laut 1-Wochen-Wettervorhersage gleich zu bleiben: Der starke Gegenwind! »Very strong winds« aus nordöstlichen Richtungen sollen übers Land fegen. Mich rührt das schon kaum noch, obwohl ich gelesen hatte, dass im Süden der USA doch Südwestwinde vorherrschen würden. Aber die Windlotterie scheint es bei meinem Weg um den Globus nur selten gut mit mir zu meinen. Am Abend füllt sich das Hostel wieder. Die Meisten machen aber nur ihr Ding, Kommunikation wird scheinbar kleingeschrieben, außer jene mit dem TV. In der so aufkommenden Einsamkeit – obwohl ich ja nicht allein bin – fühle ich wieder Melancholie. Am Besten geht man da wohl früh schlafen.