11. Februar

Es ist laut im Backpacker. Musik, Straßenlärm, brennendes Licht im 32-Betten- Dorm. Dennoch schlafe ich einigermaßen. Kurz nach 8 Uhr geht mein letztes Abenteuer der Reise los, auch wenn ich mich immer noch nicht darauf freue. »Start« nahe des »Venice-Beaches« ganz im Westen der Stadt. Gut 100 km Chaos durch diesen Moloch stehen mir bevor. Kühl ist es, aber mit Thermohose, Langarmtrikot und Windjacke ist das kein Problem. Eher schon der Verkehr. dicht gedrängt, ich ganz am Rand. Autos hupen mich an, aber WO soll ich denn hin? Auf den »Freeway“ (mit unseren Autobahnen vergleichbar)? Ich weiß, dass man hier mit Rädern nicht drauf darf, aber ich bin überzeugt davon, dass das aufgrund des Seitenstreifens der sicherste Weg sein wird, aus L.A. raus zu kommen. Und ich hatte gehört, dass die Polizei bei Radlern oft ein Auge zudrücken würde und sie gewähren ließe. Bei mir aber nicht. Ich bin noch keinen km auf dem Freeway gefahren, da halten mich zwei Polizisten auf ihren Motorrädern an. Schwer bewaffnet sind sie. Meine sonst eher übliche Rebellionsstimmung ist zur Zeit Sowieso eher einer »Ist- mir-egal-ich-nehme-es-wie-es-kommt«-Atmosphäre gewichen. So bin ich sehr freundlich zu ihnen, erkläre ihnen auch den Grund, warum ich auf dem Freeway bin. Einer von ihnen ist auch Radler und er gibt mir Recht, dass man am sichersten auf dem Freeway aus der Stadt käme. Dennoch könnten sie mir nicht helfen und ich müsse runter. Allerdings haben sie – wie ich – keinen blassen Schimmer, WIE ich – ohne Freeways zu nutzen – aus der Stadt rauskommen könne. Sie rufen ein Polizeiauto, das mich die halbe Meile bis zur nächsten Ausfahrt bringen soll. Welch Aufwand die Polizei weltweit doch wegen Kleinigkeiten betreibt! GIBT ES FüR SIE NICHTS WICHTIGERES? Bei soviel Kriminalität, gerade in einer Stadt wie L.A., wage ich das doch zu bezweifeln. Ich kann mich nicht des Eindrucks erwehren, dass solche »Aufgaben« willkommene Alibiaktionen sind, mit denen man wieder vorweisen kann, etwas getan zu haben. Das Polizeiauto kommt. Mein Rad wird verladen, ich auf die »Hinterbank« verwiesen. Diese besteht aus Hartschale, zwischen mir und den zwei Sheriffs ist eine kugelsichere Glasscheibe. Diese zwei Polizisten können mir dann wenigstens eine Straße (Whilshire-Boulevard) nennen, auf der ich die nächsten 15 km – ungefähr in meine Richtung – fahren kann. Sie führt mich durch wohlbekannte Orte wie Santa Monica und Beverly Hills. Toll finde ich sie nicht, berühmt sind sie wohl nur wegen DER Filmfabrik der Welt. Hollywood liegt nur wenige km entfernt. Ich komme nach Downtown. Soll keine gute Gegend sein, ich bin auch froh, als ich wieder draußen bin. Auch die Polizei hatte mich gewarnt, oft würde grundlos auf gerade vorbeikommende Leute ein Feuer eröffnet. Es sei schlecht, dass ich auch noch alleine sei. Mit Angst im Nacken Rad zu fahren, ist nicht unbedingt ein Vergnügen. Immer wieder die Schwierigkeit, eine weiterführende Straße zu finden. Ich fahre große »Schlangenlinien« (mal mehr in den Norden, dann wieder in den Süden, wenigstens die »Grobrichtung Osten« bleibt. ), manchmal bleibe ich in einem Wohngebiet stecken. Alle von mir gesichteten Karten sind einfach zu grob, auch jene, die mir die Polizisten vom Morgen mitgegeben haben. Stop and go. Eine Ampel nach der anderen. Werden es Hunderte oder gar Tausende sein, über die mein heutiger Weg führt? Welch Scherz war dagegen z. B. Paris, Tehran, Dehli oder Bangkok? Dazu noch die Schwierigkeit, dass ich mich tatsächlich erst wieder an den Rechtsverkehr gewöhnen muss. V. a. beim Linksabbiegen gerate ich zweimal auf die falsche Spur. Bleibt Gott sei Dank ohne Auswirkungen. Eines aber ist erfreulich: Die Leute sind echt nett. Wenn ich anhalte, um auf meiner Karte wieder verzweifelt einen Weg zu suchen, ist meist schnell jemand da und fragt, ob er mir helfen kann. Es ist auch keine Seltenheit, dass sie von sich aus ihre Karte holen, sich wirklich viel Gedanken machen, um aber letztlich zu dem selben, frustrierenden Ergebnis zu kommen: »It’s a big problem to cycle out of the city (sprich: »siddy«)«. Ich sehe einen Automobilclub. Gleich rein. Aber auch hier das gleiche Spiel. Sie geben sich echt Mühe, rufen bei diversen Stellen an, können mir aber schließlich auch nicht helfen. Es gäbe zwar Radkarten (von denen ich schon gehört hatte), aber sie bräuchten eine Woche, um diese auftreiben zu können. So schwer hatte ich mir das Radeln hier nicht vorgestellt, hier in DEM MTB-Land! Ich sehe aber auch gar keine Radler. Zudem sind die Straßen viel schlechter, als ich mir dies für dieses so »fortschrittliche« Land hätte vorstellen können: Schlaglöcher, Einrisse, Spurrillen. Ständig Schläge. Mein armer, letzter, treuer Freund, mein Rad, das von Nanna auf »Klaus« getauft wurde! Hoffentlich hält Klaus durch! Denn als der Verkehr zum ersten Mal – nach 80 km! –für ein paar Sekunden abebbt, höre ich ein schon recht lautes Knacken. Es hört sich nach dem Tretlager an, aber das wurde doch gerade vor 3500 km ausgetauscht. Es wird dunkel. Hier schlafe ich sicher nicht in meinem Zelt. Wie viel Leute haben mich heute auch davor gewarnt! Bloß zur Dunkelheit ein Dach überm Kopf haben, das war ihre Rede. Zelten würde »Russisch Roulette« entsprechen. Dann einige Motels. Huch, sind die teuer! Alle weit über meinem angesetzten Höchstpreis. Also weiter. Aber es wird dunkler und dunkler und es kommen keine Motels mehr. Die nahen – ganz oben noch schneebedeckten – Berge sind schon nicht mehr zu erkennen. Aber einfach kein Motel mehr. Angst. Immer noch hohes Verkehrsaufkommen. Auch die wenigen Fußgänger wissen alle keine übernachtungsmöglichkeit. Doch plötzlich: Ein Motel! Rein, koste es, was es wolle. Es kostet auch viel, bietet »dafür« wenig. Aber was soll’s, ich bin wenigstens sicher.

L.A. habe ich immer noch nicht richtig verlassen, obwohl ich über 120 km gefahren bin. Ich bin in San Bernadino, natürlich auch »not a good area«. Essen beim gegenüber gelegenen Mexikaner. Beim flotten Gang über die dunkle Straße wieder kein gutes Gefühl. Aber im Lokal selbst entspannte Atmosphäre. Viele lachen. Welch tolles Gefühl nach dem »Krieg« auf der Straße! Ich liebe die »Dritte-Welt-Länder« (welch dumme Bezeichnung; wie viel haben sie uns voraus!). Am liebsten würde ich nun nach Mexiko. Aber da ich nicht mehr soviel Zeit habe, bliebe nur der Norden und der ist sicher nicht der interessanteste Part dieses faszinierenden Landes. Außerdem fliege ich ja von Atlanta nach Europa. Alle sprechen sie hier Spanisch, es laufen auch gerade die mexikanischen Nachrichten im TV. Am Abend schreibe ich noch meinen ersten Brief (für die »gelbe Post«) auf dieser Reise. Nebenbei fällt mir ein, dass ich für L.A. eigentlich zwei Adressen hatte. Beide traf ich in der Himalaya- Region, v. a. den tiefsinnigen Taiwan-Amerikaner Joon hätte ich wirklich gerne besucht. Ich bin einfach noch nicht mit meinen Gedanken in den USA angekommen. Sorry, Joon! Ich habe es echt vergessen. An Barry, meinen Radlkamerad in Malaysia, hatte ich wenigstens noch gedacht. Aber San Fransisco war mir nun doch zu weit, zumal ich für meine Kontinentaldurchquerung schon nur vier Wochen Zeit habe, was sicherlich extrem wenig ist. Barry, wir werden uns trotzdem irgendwann, irgendwo wieder sehen!