Kurz nach 6 Uhr bin ich zum Sonnenaufgang abfahrbereit. Doch ich schlafe noch mal ein. Erste Träume seit Monaten, an die ich mich erinnern kann: Erst rechne ich mit meiner beschissenen Schulzeit ab, dann treffe ich Freunde. Oh, wie schön wäre es, wenn das Realität wäre! Aber jene sieht anders aus: wieder muss ich nach Alternativen zum Freeway fragen. Wieder aber weiß niemand Hilfe. Alles erscheint aussichtslos. Wie soll ich nur durch dieses »Freeway-Country« kommen, wenn ich auf eben diesen nicht fahren darf? Ein alter Mann, der stark nach einem Penner aussieht, kann mir dann doch noch weiterhelfen. Welche Mühe gibt er sich! Er zeichnet wild Landkarten und erklärt viel dazu. So komme ich mit seiner Hilfe wieder ein paar km weiter. Mittagessen im »Burger King« (»der Cheeseburger schmeckt dort besser als im McDonalds«). Wieder Frage nach dem Weg, wieder weiß niemand Bescheid. Das soll noch Spaß machen? Da kommt Dub, der das Gespräch mitverfolgt hat. Er ist schon etwas älter, meint, dass er mir vielleicht helfen könne, er kenne sich hier gut aus. In ein paar km gäbe es wirklich keine Alternative mehr zum Freeway. über andere Straßen müsste ich extreme Umwege in Kauf nehmen, zudem führten sie durch »ungute Gebiete«. Immer das Gleiche, was soll ich nur tun? Verzweifeln? Heimfahren? Ich habe genug hiervon. Vielleicht kann Dub meine Gedanken lesen. Er bietet mir an, mich – nachdem er in der Stadt noch was erledigt hat – mit seinem Auto über dieses »Alternativstraßenloch« zu fahren und von dort könnte ich meine Fahrt fortsetzen. »You really want to do this for me?« »I have to do it, because this is the only solvation for you«. Was soll man dazu noch sagen? Habe ich nicht immer gedacht, die US-Amerikaner wären höchstens oberflächlich freundlich? Seit gestern wird mir ständig das Gegenteil bewiesen, mit nun diesem vorläufigen Höhepunkt. Tatkräftig versuchen hier, dir viele zu helfen. Was würde ich nur ohne diese Menschen hier tun? In der Zwischenzeit – bis Dub alles erledigt hat – soll ich zu ihm nach Hause fahren. Er ruft seine Frau an, sie erwartet mich nun bereits. Trotz Dubs Zettel verfahre ich mich auf dem Weg zu seinem Haus, aber mit Hilfe von freundlichen Einheimischen erreiche ich sein auf 4000 feet (gut 1200 m) gelegenes Haus. Wunderschön in einem Nobelviertel gelegen. Seine Frau führt mich durch Haus und Garten. Dub kommt mit einem Freund zurück. Ich bekomme Tee und eine riesige Packung mit diversen »Snacks«. Dann fahren sie mich 40 km raus, leider größtenteils bergab. Aber der Freeway ist echt stark befahren und der Seitenstreifen offensichtlich nicht immer der Beste. Herzliche Verabschiedung. Ich bedanke mich und sage ihnen, dass sie mir mit ihrer Herzlichkeit eine große Freude gemacht haben. Sie strahlen. Ihnen scheint es sogar Spaß gemacht zu haben. Fast wie in Asien. Wieder aufs Bike. Warm. 18° C. Nur noch T-Shirt und Radelhose. Aber auch der Highway ist stark befahren, die Straße oft schlecht, v. a. am Rand. Klaus klappert weiter. 20 km lange Steigung, wieder auf 1000 m Höhe. Wieder starker und immer kälter werdender Gegenwind. Oben nur noch 9° C. Vor zwei Tagen hatte es hier noch geschneit. Der Verkehr rauscht gerade so an mir vorbei. Angst. Dazu noch die vielen Unsicherheiten auf der noch folgenden USA-Durchquerung. Gar kein Seitenstreifen mehr. Nun gar Panik! Ich stoppe, schaue dem wilden Verkehr zu. Ich beginne zu heulen, aus Verzweiflung. Was suche ich nur hier??? Ich Idiot, wäre ich in Neuseeland geblieben oder wäre wenigstens woanders hingeflogen. Nur weil eine USA-Durchquerung auf der Weltkarte super zu einer Weltumradelung passen würde, mache ich diesen Mist? Bin ich echt so blöd? Ich bin einsam. Einsamer, als im Osten der Türkei, als ich umdrehte, einsamer als in Tibet, als mich Martin und Fernando (die ansonsten aber TOLLE KUMPELS waren!) plötzlich am Abend krank im Niemandsland auf über 5000 m Höhe allein zurück ließen, einsamer als erneut krank auf Java, als auch niemand für mich da war. Angst vor Verkehr und Gangstern. Und da es in den USA so einfach ist, sich Pistole oder Revolver zu besorgen, werden in einer amerikanischen Großstadt in einem Monat mehr Menschen erschossen als in einem ganzen Jahr in einem europäischen Land (diese nicht sehr exakte Angabe kommt aus meinem Reiseführer und hat bei mir auch nicht unbedingt zum Wohlbefinden beigetragen). Dies alles zusammen mit meinem seelischen Tief, too much for me? Wieder wird es dunkel, eben schon bald nach 17 Uhr, und kalt. Ein Motel. Rein, wieder sauteuer, aber diesmal wenigstens sauber. Internetcafé. Sofort hin. Mails aus der Heimat – mehr denn je ein Lebenselixier für mich. Nach dem Duschen zurück zum Internet. Jenes ist in einer Kneipe. Heute Abend findet ein Konzert statt. Viele fröhliche Leute, größtenteils in meinem Alter. Aber die PCs sind sicherheitshalber bereits abgeschaltet. Also wird nichts aus meinem Plan, meinen nächsten Reisebericht zu schreiben. Auf Konzert und Bier habe ich keine Lust, ich gehe. Mensch Christoph, was ist nur mit dir los? du bist ruhig, in dich gekehrt, einsam und traurig. In dieser Kombination gab es das sicher schon Jahre nicht mehr. Einsam – trotz den ganzen Tag mich umgebenden Massen. Aber die meisten sind und waren von einer klimatisierten Blechbüchse, die zudem oft noch getönte Scheiben aufweist, umgeben, sozusagen abgeschlossen von ihrer Umwelt. Kühle amerikanische Welt, auch wenn die Menschen ja ganz anders sein können, wie ich ja schon erleben durfte. WAS könnte mich von Traurigkeit und Einsamkeit befreien? Ein anderer Tourenradler? Aber wie gering ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich einen treffe! Wie schön wäre es, einfach einen anderen Touri zu treffen, mit ihm plaudern zu können! Aber ausgerechnet jetzt bin ich alleine. Hart, belastend. Aber wer weiß schon, für was das gut ist. Ich werde es erst im Nachhinein erkennen können. Ich gehe heim, es ist verdammt kühl. Im TV kommt gerade ein Bericht von einer wilden Schiesserei am Morgen in West-Hollywood. Das passt ja wie die Faust aufs Auge! Also umschalten: Glamoursendung um die Sternchen in Hollywood. Mir reicht’s, Licht aus. Was höre ich noch? Ein AUTO nach dem anderen rauscht vorbei. Hoffentlich bleiben sie mir wenigstens im Traum erspart.