Autolärm weckt mich auch wieder. Beim Frühstück wieder das typische Gefühl der letzten Tage: Hunger. Aber wieder habe ich kaum etwas gegessen, bin ich schon satt, ja sogar unangenehm voll. Dazu kommen noch Nasenbluten und Durchfall. Es sieht so aus, als sei aus mir innerhalb weniger Tage ein psychisches und physisches Wrack geworden, wobei beides wohl zusammenhängt. Aufs Rad. Christoph, willst du wieder den einsamen Versager aus Schulzeiten imitieren? Nein? Also, raff dich auf! Stell dir vor, du würdest schon arbeiten und bekämst einfach so vier Wochen Urlaub geschenkt und in den vier Wochen könntest du nun mit dem Rad durch die USA fahren. Wäre doch genial, oder? Hey, nutze die Zeit! Nutze sie, um Deine Vorurteile gegen dieses Land abzubauen. Nutze sie, um Land und Leute etwas kennen zu lernen. Da kommt mir die Idee, meinen ursprünglichen Plan, ganz im Süden des Landes zu radeln, fallen zu lassen (womit ich auch den brodelnden Städten aus dem Weg gehen könnte) und zumindest bis Texas auf der »Historic Route 66« zu radeln. Diese war die erste Ost-West-Verbindung der USA von Los Angeles nach Chicago. Viele Geschichten ranken sich um diese 1926 geöffnete und lange Zeit wohl berühmteste Straße der Welt. Radfahrer sollen dort überall fahren dürfen. Unterkunft sowie Verpflegung müssten weitestgehend auch gesichert sein. Das Problem ist nur, dass diese Route zum einen – gerade im Westen – über große Höhen führt und zudem einige Hundert km nördlich jener Route entlang des Golf von Mexiko verläuft, so dass ich noch in große Kälte geraten kann. Aber die Idee fasziniert mich. über die Straße, über die ich schon vor Jahren gelesen hatte, als ich mich für Reisen eigentlich noch gar nicht interessierte, nun zu radeln. Ich nehme die erste Abzweigung Richtung Norden, eben Richtung Route 66. Eine Idee als Heilmittel gegen die Krise? Das kann ich noch nicht sagen, dafür bin ich noch zu labil, aber es strahlt zumindest mal wieder Licht am Ende des Tunnels auf. Das Wetter ist weiterhin spitze: Zwischen 9 und 16 Uhr mild, bis 18° C und viel Sonne. Am Morgen hatte ich schon im TV gesehen, dass es zudem fast windstill werden soll, im Vergleich zu den Stürmen, die in den letzten beiden Tagen mit bis zu 130 km/h übers Land fegten. Und das Schönste: Der Autoverkehr lässt nach! Nur die miese Straßenqualität, die mich abschnittsweise zu Schritttempo zwingt, ärgert mich noch.
Die Landschaft ist ganz nach meinem Geschmack: wüstenhaft, karg, mit schroffen und wilden Gebirgen im Hintergrund. Kakteen, Sträucher und heller Sand. Ab und an Salzseen. Das Radeln beginnt, wieder Spaß zu machen. Der erste Ort nach 80 km. Er besteht aus einer alten Tankstelle und zwei sie umgebende Bruchbuden. Ich mache eine Pause, labe mich wieder an Dubs Snacks. Dabei beobachte ich den Tankwart. Vielleicht Mitte 50, klein gewachsen, alte und auch ein bisschen verlumpte Klamotten. Erschimpft über all seine Kunden (solange diese das nicht hören können). Irgendwie muss er mir angesehen haben, dass mir das missfällt. Er kommt zu mir rüber und nuschelt: »Ja, du fährst mit dem Rad und tust noch was, aber all diese Autofahrer, die auch noch meinen , ein Abenteuer einzugehen, die regen mich ganz schön auf. Nichts tun sie, nichts!«. Ich widerspreche ihm nicht. Die Gegend hier, die Einsamkeit hat ihn geprägt, vielleicht auch ein bisschen verbittert. Aber im Innern ist er sicher kein schlechter Kerl. Und diese feinen Schnösel aus L.A., sie sind wahrlich ein Unterschied zu ihm. äußerlich und innerlich. Ein paar Motorradfahrer kommen noch vorbei, zum langen Wochenende machen sie nun einen Mehrtagesausflug. Einer von ihnen hatte mich gestern schon einmal gesehen und sich gedacht: »What a crazy guy!«. Wie gut tut mir dieser Smalltalk mit ihnen. Es rollt schön weiter, entlang einer Eisenbahntrasse. Bei vorbeifahrenden Güterzügen zähle ich die Waggons, 80-100 an der Zahl, von zwei bis vier Loks gezogen. Ansonsten ist hier tote Hose, die folgenden zwei Minisiedlungen scheinen völlig ausgestorben. Das Problem ist, dass sich mein Getränkevorrat dem Ende zuneigt. So biege ich in das in der Nähe gelegene »Mojave National Reserve« ab, denn dort soll es einen Campground geben. Es wird immer dunkler, ich bin schon 15 km innerhalb des Reserve, doch noch immer ist kein Hinweisschild auf den Campground zu sehen. Da kommt mir ein Landrover entgegen, ich stoppe ihn und will mich erkundigen. Elizabeth, die Autofahrerin, fackelt nicht lange, sagt ihrem Mann Gary, dass er mein Rad verladen soll und schon dreht sie um. Sie hat auch eine Stimme wie »Roseanne« aus der gleichnamigen TV-Serie, ist nur nicht so füllig. Gary dagegen »piepst« nur, ich verstehe ihn kaum. So fahren sie mich noch 20 km zum Campground. Dieser gefällt mir. Großräumig, mit Trinkwasser und Plumpsklo, direkt vor einer herrlichen Felsformation gelegen und zudem noch kostenlos. Die Leute machen Feuer, grillen, genießen ihr Barbecue, sind ruhig, aber gut gelaunt. Mir wird aber zu kalt, ich baue schnell mein Zelt auf und verkrieche in meinen Schlafsack.