Eigentlich sollte ich weiterfahren, um Christian wieder einzuholen. Aber mich reitet der Teufel und ich bleibe da. Dies liegt weniger daran, dass es zwei Tage ständig wieder regnet und kühl ist. Das darf einen Tourenradler nicht stören. Ebenso wenig hängt das an der Stadt Nelson, die außer dem Beach (für den es aber zu kalt ist) und einer Kathedrale nicht viel zu bieten hat. Eher liegt das schon an den mir über Internet übermittelten Nachrichten aus der Heimat. Es scheint in Mode gekommen zu sein, mich mit aller Gewalt »runterzuputzen«. Nach meiner Schwester vor ein paar Tagen ist zunächst – abgeschwächt – mein Vater an der Reihe, bevor mir meine Mutter am folgenden Tag den entscheidenden Schlag versetzt. Ein klarer Treffer, echter K.O.! Christoph sei ein überheblicher und selbstherrlicher Mensch geworden, der sich bei seiner gigantisch geplanten Heimkehr zelebrieren und huldigen lassen wolle etc. Ich verstehe die Welt nicht mehr. Da unterstützte mich meine Familie, wo sie nur konnte, auf meiner Reise, was ich gerade angesichts der Tatsache, dass sie sich lange überhaupt nicht mit dieser Tour hatten anfreunden können, ganz toll fand. Stolz war ich auf sie alle. Wie konnten sie über Nacht zu einer Horde wilder Bestien werden, die all mein Tun plötzlich aufs Schärfste verurteilen und mich scheinbar nur noch »vernichten«, mir zumindest keinerlei Freude mehr lassen wollen??? Kann man sich im Leben auf niemand verlassen? Es scheint so. Wie dem auch sei, mir wird bewusst, dass ich allein weder Geld für eine Fete nach meiner Heimkehr, noch für ein Diafestival habe, so dass ich beides »vorerst« absage. Schade, wie sehr hatte ich mich darauf gefreut! Alle Kumpels und Bekannte, die von vor der Reise und die auf der Tour Kennengelernten, auf einen Schlag wieder sehen, Erfahrungen austauschen, lachen, sich gemeinsam freuen, vielleicht auch mal wieder die »Sau rauslassen« etc. So bin ich frustriert, mir ist alles (fast) egal. Meine Radtour und auch das, was ihr folgen soll. Maren und Nanna reisen noch bis Mitte März durch Neuseeland, so beschließen wir, dies bis Anfang März gemeinsam zu tun. Wenn mir dann immer noch alles egal ist, dann kann ich ja bis Mai Nordamerika queren und abschließend doch noch von Nordafrika heimradeln. Wenn das Geld nicht reicht, gehe ich halt mal arbeiten dazwischen. Wäre wohl eh mal interessant. Christian rufe ich jeweils am Abend an, teile ihm mit, dass ich immer noch in Nelson bin. Wie viele Leute wären da (zu Recht!) frustriert und enttäuscht! Nicht so Christian. Er nimmt es locker. Ich bin ihm sooo dankbar dafür! Wir vereinbaren neue Orte zum erneuten Treffen, zuletzt übermorgen am Franz-Josef-Gletscher, knapp 500 km weiter südlich mitten an der Westküste der Südinsel gelegen.