15. Mai

Liebe Freunde und Bekannte! Zunächst möchte ich mich für meinen letzten Bericht entschuldigen. Diesen schrieb ich unter einem gewissen Druck, da ein Deutsch sprechender Türke mir erst unbedingt ein Internetcafé zeigen wollte, mit der Zeit aber einen immer dubioseren Eindruck auf mich hinterließ, so dass ich ihn immer im Augenwinkel behalten wollte. So war der letzte Bericht sicher nicht der Hit. Nun bin ich zwar auch nicht fit, da ich eine 19-stündige Busfahrt hinter mir habe und so die letzte Nacht auch kaum zum Schlafen kam. Aber ich werde mein Bestes versuchen, v. a. da es wohl mein letzter Bericht sein wird. Diesen habe ich übrigens schon zweimal versucht, vorgestern von Dogubayazit (an der iranischen Grenze) zu schreiben, aber beide Male ist der PC abgestürzt. Aber nun in medias res:

Der Bus, den ich am Abend im anatolischen Hochland bestiegen habe, erreicht kurz nach Mitternacht die Schwarzmeerküste. Diese 1400 km lange, felsige und schroffe kleinasiatische Küste mit ihrem satten Grün der Wiesen und der dunklen Nadelwälder steht in auffälligem Kontrast zu den Braun- und Ockerfarben, die ich aus Anatolien gewohnt bin. Der Bus klappert nun stark. Dies lässt schlechte Straßen befürchten. Schlafen kann ich dabei kaum. Um 5:00 verlasse ich schlaftrunken in Giresun den Bus. Kaum ist dieser abgefahren, bemerke ich, dass ich darin meinen Radhelm habe liegen lassen. Ein Deutsch sprechender Taxifahrer tröstet mich, indem er meint, dass ich meinen Helm in Trabzon wieder erhalten könne. Es regnet schon wieder. Aber wenigstens ist es milder als im anatolischen Hochland. Die Straße ist tatsächlich schlecht. Welche klebrige Masse tropft mir da ständig auf den Rücken? Als ich nachschaue, entdecke ich meine im Rucksack ausgelaufene Fantaflasche. Nur wenige km später habe ich den ersten Plattfuß meiner Tour. Der Tag beginnt ja klasse. Noch suche ich das zum Reparieren benötigte Werkzeug, da hält ein Kleinbus neben mir. Ein kleinwüchsiger Mann entsteigt und bedeutet mir schnell, dass wir dieses Problem zusammen lösen werden. O.k. Mit Kaptan, das ist der Busfahrer dieses Zeitungswagens, wird alles wieder viel lustiger und bunter. Wir bringen die bedeutendsten beiden türkischen Zeitungen (»Hürriyet« und»Milliyet«) zu allen großen Kiosken der Region. Dazwischen besuchen wir Cafés, plaudern mit den Leuten über die gestrige unglückliche Pokalfinalniederlage von Trabzonspor. Wie überall auf der Welt erregt ein (natürlich) unberechtigt gegebener Foulelfmeter in der 118. Minute auch noch heute die Gemüter. Zwischendrin wird auch mein Plattfuß behoben. 25 km westlich von Trabzon hat Kaptan seine Arbeit getan. Wir trinken noch einen Tee und treffen dabei einen deutschsprachigen Türken, der mir bei der Suche nach einem Internetanschluss behilflich sein will. An beiden Unis ist das System gerade »down«, aber letztlich finden wir ein Internet-Café. Am Abend komme ich in den Ort von Kaptan zurück und treffe u. a. Kenan. Dieser verbrachte die Zeit von seinem 13.–28. Lebensjahr in Westfalen, bevor er vor 14 Jahren wieder in die Türkei zurückkehrte. Nach einem längeren Gespräch lädt er mich ein, bei sich und seiner Familie zu übernachten, was ich gerne annehme. Zuhause kann man die Menschen und ihre Kultur eben noch besser kennen lernen. Wir bauen mein Zelt auf, wobei mir fast das halbe Dorf zuschaut! Am Abend unterhalten sich Kenan und ich über Religion, Glaube und Gott, was sehr interessant ist, da Kenan ein überzeugter Muslim ist. Wir entdecken Unterschiede, aber viel mehr Gemeinsamkeiten. Denn unsere Glaubensmitte, der Glauben an den einen, allmächtigen und liebenden Gott, ist uns gemeinsam.