18. November

Mein hiesiges Backpacker-Hotel wird oft vorgebucht. So muss ich heute aus dem Drei- in ein Zehn-Bett-Zimmer umziehen. Hier ist bisher nur Merfi, 41 Jahre, aus Bosnien stammend und mit seinen Eltern bereits vor 34 Jahren nach Australien (Sydney) ausgewandert. Wir kommen ins Gespräch. Er erzählt mir seine Lebensphilosophie. Er hat alle Religionen studiert und glaubt, dass das Beste aus jeder Religion zusammengenommen die wirkliche Wahrheit ergäbe. Er ist absolut überzeugt von der Reinkarnationslehre. Und so glaubt er, dass alle Taten in diesem Leben Auswirkungen auf das nächste Leben haben. Erschießt man nun jemand, würde man im nächsten Leben selbst erschossen etc. Er spielt auch Gitarre, hört aber nie Radio und kauft sich auch keine CDs, kennt sich also in der Musikszene nicht aus. Aber seine Lieder sind toll. Große Bandbreite. Ständig wechselnde Rhythmen und dennoch passt alles irgendwie zusammen. Seine Texte sind mal lustig (u. a. unterhalten sich mal Elvis und Donald duck, die er phantastisch imitieren kann), mal sehr tiefgründig (z. B. spricht er in einem Lied mit Gott über seine Lebensphilosophie). Seine Frau ist bereits mit 24 Jahren an Krebs verstorben und so hat er seine drei Kinder allein großgezogen. Nun sind sie alt genug und so machte er mal für drei Monate in Darwin Ferien, jetzt geht es wieder heim nach Sydney. Per Anhalter. Leider kann ich seiner Musik nicht länger lauschen, denn ich muss noch einige Vorbereitungen für die nächsten Tage treffen und auch meinen 33. Reisebericht schreiben. Anschließend geht es in die örtliche Pizzeria, wo es heute für rund 7 DM »All you can eat« gibt. Die haben halt nicht gewusst, dass der Christoph heute in der Stadt ist und er vor einer Nachtetappe so richtig zulangen will und kann. Aber sie machen das geschickt hier. Denn jedes Mal muss man zur Theke, um sich zwei weitere Stückchen Pizza zu holen. Und jedes Mal, wenn ich wieder auftauche, schauen sie mich mit etwas ernsterem Blick an. So gebe ich auch schon auf, als ich zwar satt, aber noch nicht voll bin. Zusammenpacken. Das Zehner-Zimmer ist inzwischen voll. Drei Leute (incl. Merfi) spielen Gitarre, andere Karten. Manche überhäufen mich noch mit Fragen zu meiner Radtour. Gespräche und Abschied. 21:01 Uhr: Ich stehe vor einem wichtigen Test. Die erste Etappe in der Nacht. Wie wird das funktionieren? Ich fahre an dem Pub vorbei, der gestern um 21 Uhr geschlossen wurde. Heute ist hier eine riesige Party. Pech gehabt. Die ersten paar hundert m noch mit Laternenbeleuchtung, dann werde ich ins dunkel der Nacht entlassen. Und es ist sehr dunkel. Zwar ist der Himmel klar und ich kann viele Sterne funkeln sehen, aber der Mond ist schon untergegangen. Der Verkehr ist in der ersten Stunde – für Outbackverhältnisse – noch belebt, lässt dann aber deutlich spürbar nach. Bei den Road Trains passe ich immer genau auf und bin ständig bereit, auf den Schotterseitenstreifen auszuweichen. Aber alle umkurven mich mit mindestens zwei bis drei Metern Abstand. Die Batterien an meinen Lampen sind auch noch völlig frisch und so leuchtet mein Licht – weithin sichtbar – hell. Die entgegenkommenden Fahrzeuge sehe ich oft schon einige Minuten, bevor sie mich passieren. Nicht, weil jene so langsam wären, nein, die Geraden sind so unglaublich lange. Dazwischen verschwindet das Scheinwerferlicht dann mal wieder, weil das Fahrzeug gerade in einer Mulde zwischen zwei Hügeln ist. Manchmal ist es aber auch für über eine halbe Stunde völlig ruhig. Ich bin ganz allein auf dem Stuart-Highway. Ich höre nur ein paar Grillen zirpen. Aber mit fortschreitender Stunde wird auch das immer weniger. So höre ich dann nur noch das ziemlich monotone Geräusch der noch recht rund laufenden Kette. Aber ich muss dennoch immer hochkonzentriert bleiben. Immer genau auf die ca. 10 m zwischen meinem ca. 2 x 2 m großen Lichtkegel und meinem Rad schauen. Jeden Moment muss ich sofort reagieren können, falls z. B. ein Tier über die Straße rennt. Manchmal habe ich auch Furcht. Was ist, wenn da jemand steht und dich überfällt? Oder dich sogar einfach abknallt, um sich die »Beute« zu krallen? Hirngespinste eines Solo-Radlers mitten in der von absoluter Dunkelheit umfangenen Halbwüste. Die Pausen halte ich recht kurz. Ich trinke ordentlich und fülle meine 1 l-Flasche immer wieder auf, aus meinem damit immer leichter werdenden Wassersack.