Kurz nach Mitternacht fühle ich mal die Temperatur der Straßenoberfläche. Selbst fünf Stunden nach Sonnenuntergang noch deutlich erwärmt. Dennoch sind die Temperaturen recht angenehm. Wohl schon unter 30° C. Die Minimal-Temperaturen liegen zur Zeit in dieser Region bei knapp über 25° C, der Hitzepeak des Tages wird meist gegen 15 Uhr mit über 40° C gemessen. Das Problem ist, dass das alles Schattentemperaturen sind, es Schatten aber schon hier in der Halbwüste eigentlich nur in der Nacht gibt. Auf den nächsten ca. 700 km soll es noch wärmer werden, bevor es Richtung Alice Springs wieder etwas erträglicher werden soll. Die ganz große Hitze lauert dann wohl aber erst nach ca. drei Vierteln des Weges von Darwin nach Adelaide. Aber wie es wirklich wird, wird sich erst noch zeigen. über die Tennisspieler muss ich eigentlich ein bisschen lachen. Jammern sie nicht sogar jährlich im vergleichsweise kühlen Melbourne über die »brütende Hitze«? Die sollten mal mit dem Rad hier rumkurven, dann wären sie ruhig. Nach 107 km erreiche ich Mataranka. Um 2:15 Uhr. Ein großer Ort mit 800 Einwohnern. Leider hat nichts für 24 Stunden geöffnet. So mache ich in einem kleinen Park am Rande der Straße Rast. Viel Wasser und auch zwei Toastbrotscheiben mit Erdnussbutter und Honig. Ich stelle fest, dass nur ein paar m von mir entfernt einige Aborigines schlafen. Zumindest versuchen sie es. Sicher nicht leicht, bei all den nervenden und stechenden Insekten hier. Ich werfe ständig mal einen Blick hinüber. Vertrauen ist gut, Kontrolle besser. Leider ist dem so in unserer Welt. Dann wieder aufs Rad. Die bisherigen km dieser Etappe waren die bis dato leichtesten in Australien. Nach weiteren 25 km stoppt ein mir entgegenkommendes Auto. Der Mann erklärt mir, dass er mich vor wenigen Minuten überholt habe (stimmt, ich kann mich erinnern) und sich überlegt habe, dass ich vielleicht mitgenommen werden wolle. Ich bedanke mich herzlich, will aber mit dem Rad weiter. Auf jeder anderen Strecke der Welt hätte ich wohl zugestimmt (vielleicht hätte es ja auch ein interessantes Gespräch gegeben), aber nicht hier. Nur 5 km weiter beginnen meine Oberschenkel zu schmerzen. Plötzlich. Dabei hatte ich mich eben noch so wohl gefühlt. Ich muss die Abstände der Pausen verkürzen, auf 1, eine 3/4, eine 1/2 Stunde. Jetzt bekomme ich auch Hunger, ich esse Toastbrotscheiben. Aber die Oberschenkel schmerzen immer mehr. Jede Pedalumdrehung tut weh, bedeutet echte Qual. So einen plötzlichen Einbruch habe ich in meiner gesamten Sportlerkarriere noch nie erlebt. Ist es, weil ich so schlecht trainiert bin oder habe ich zu wenig gegessen? An den Temperaturen hat es sicher nicht gelegen. Die waren o.k. Und getrunken habe ich auch genug, mein 10 l-Wassersack ist schon fast leer. Ich bin ratlos. Es dämmert. Der Horizont wird feurig rot. Langsam erkenne ich wieder die Landschaft. Sie hat sich nicht verändert. Weiterhin Sträucher und Krüppelbäume. Jetzt sehe ich auch das psychisch desillusionierende kerzengerade Asphaltband. Aus meiner 2 x 2 m großen Welt wird wieder die endlose weite des nordaustralischen »Bush“. Aber eigentlich interessiert mich das nun nicht wirklich. Ich bin ausgelaugt, am Ende. Fühle mich wie bei der berühmt-berüchtigten »Mauer« bei km 35 in einem Marathon. Die Mauer überspringen kann ich nicht mehr, höchstens mit meinem Sturschädel noch mitten durch die Mauer. Lange Pausen kann ich nun auch nicht machen. Die Sonne steigt schon wieder und bald wird es heiß werden. Und damit alles noch schlimmer. Noch 25 km bis in den nächsten Ort. Wie lange können 25 km werden?! Unendlich lange erscheinen sie mir. Nur Qual, ich will nur runter vom Rad. Kein anderer Wunsch. Alles andere ist mir egal. Aber diesen Wunsch kann ich mir nicht erfüllen. Ich muss ihn unterdrücken, muss kämpfen. Weiterkommen. Jede Pedalumdrehung – und wenn sie noch so schwer fällt – bringt dich Deinem Tagesziel näher. Und dann kannst du gleich ab in die »Falle« – hoffentlich. Am »Noch 10 km-Schild« juble ich – zumindest innerlich. Pause. Weiter. 5 km vor dem Ziel die nächste Pause. Auch das Gehen bereitet nun große Schmerzen. Es wird noch schwerer. Noch 2 km. Ich muss wieder vom Rad. Dann kurz nach 7 Uhr – endlich da. In Larrimah, noch 2520 km nördlich von Adelaide. Nur 20 Einwohner, aber drei Hotels/Motels. Die ersten zwei haben noch zu, ich verzweifle. Beim Dritten bellt der Hund so laut, dass mir eine Frau schon entgegenkommt. Ob sie noch ein Zimmer frei habe??? Sie müsse ihre beim Frühstück befindlichen Gäste befragen. Gott sei Dank – einer reist ab. Ich bin happy. Humpelnd und kurz vor Krämpfen stehend, folge ich der Frau zu meinem Zimmer. Rad abstellen, noch mal einen kräftigen Zug Wasser trinken und direkt – mit den Radklamotten – ins Bett fallen und einschlafen. Ich schlafe, wache mal kurz auf, um auf die Toilette gehen zu können (meine Blase scheint erkältet) und schlafe weiter. So geht das fast den ganzen Tag. Bei jedem Aufstehen merke ich, dass die Beine wieder ein bisschen lockerer geworden sind. Am Mittag herrscht riesige Hitze. Das deprimiert. Nun stelle ich die Durchführbarkeit meiner Wüstentour selbst stark in Frage. Von 17 Uhr an schlafe ich sechs Stunden am Stück. Als ich aufwache, höre ich noch einige Stimmen aus dem benachbarten »Larrimah-Pub«, der weit und breit angeblich größten »Touristenattraktion«. Drei Typen, noch jünger als ich, kippen einen Jim-Beam-Cola nach dem anderen. Ich bestelle Wasser, worüber sie nur lachen können. Ob ich der Deutsche wäre? Ob denn dann auch für mich Hitler der Größte sei? Ich muss lange dementieren, bevor sie mir glauben. Nach 2 1⁄2 l Wasser verabschiede ich mich. Das Bier, das sie mir hingestellt haben, will ich ebenso wenig trinken wie eine Zigarillo rauchen. Vor ein paar Stunden war ich noch »klinisch tot«.