Fast ohne Schlaf schleiche ich mich um 3 Uhr aus der Anlage des hiesigen Hotels. Weiter geht’s. Fast alles wie vorgestern. Zirpende Grillen, ab und zu mich durch ihr für mich menschenähnliches Pfeifen erschreckende Vögel. Einige Road-Trains. Heute bin ich irgendwie ängstlich und gehe grundsätzlich beim Herannahen eines solchen Ungetüms auf den Seitenstreifen und lasse sie in Ruhe passieren. Auch wieder viel Stille. Diesmal aber nur zwei Stunden bis zur Dämmerung. Sehr früh meine ich zu spüren, dass meine Beine noch nicht oder schon wieder nicht mehr taufrisch sind. Kann dich das nicht einmal 48 Stunden nach diesem kapitalen Einbruch verwundern? Der Traum von der Wüstendurchquerung per Rad ist aus und vorbei!?! Ich frage mich, ob es sinnvoller ist, die Ostküste von Cairns nach Sydney runter zu radeln oder mit dem Bus gleich in den Süden zu fahren und dann mit dem Rad von Adelaide über die Great Ocean Road nach Melbourne, einen Abstecher nach Tasmanien einzulegen und zum Abschluss noch nach Sydney zu pedalen. Ich tendiere zu Letzterem, das zu erwartende angenehme Klima ist dafür hauptverantwortlich. Zuerst hast du aber noch diese Etappe zu Ende zu bringen. Hier hält kein Bus. Vielleicht aber am nächsten Roadhouse. Bis dahin sind es noch 50 km, die können verdammt lang werden. Aber überraschenderweise werden die Oberschenkel nicht viel härter. Mensch Christoph, das ist vielleicht Deine große Chance! Versuche so gleichmäßig und locker als möglich zu treten. Es wird tatsächlich nicht schlechter. Und nur noch 20 km bis zum Roadhouse. Noch 10, noch 5 km und schon bin ich da. Zum Schluss bist du sogar schneller geworden! Einkehren. Müsli mit viel Milch. Zwei kleine Busse kommen noch, Touren in die Umgebung. Interessante Leute sind da dabei. Aber mich zieht es nun weiter bis zum nächsten Roadhouse, nur 44 km weiter. Die Sonne steht schon wieder recht hoch und die Temperaturen steigen. Mir macht es aber heute nicht viel aus! Es läuft plötzlich! Und wie! Ist vielleicht gerade Dein Knoten geplatzt? Seit Darwin waren es nun auch schon wieder über 600 km. Möglicherweise reicht das, um wieder einigermaßen »eingerollt« zu sein?! Aber kein Grund zur Euphorie. Ich bin in einer extremen Gegend, in 5 Minuten kann das schon wieder anders aussehen. Noch lange vor 11 Uhr habe ich immerhin wieder 136 km »geschrubbt«. Die Beine sind locker und das »Dunnamara-Roadhouse«, noch 2396 km nördlich von Adelaide, erreicht. Genial Christoph, Deine Aktien sind wieder gestiegen! Aber wie es im Leben so ist, wenn es einem »zu gut« geht, kommt der nächste Tiefschlag. Alle acht Zimmer sind ausgebucht! Für mich bliebe nur Camping. Schitt! Die nächste übernachtungsmöglichkeit ist 101 km entfernt, zu weit. Nur, wie soll ich bei der Hitze schlafen? Ich hatte mich so auf einen ausgedehnten Mittagsschlaf gefreut, da ich letzte Nacht ja nicht zur Ruhe gekommen war. Aber nun sind es im Schatten schon wieder 39° C und auf dem Campingplatz ist nun kein Schatten mehr ausfindig zu machen. Ich muss mir was einfallen lassen. Zunächst vertreibe ich mir die Zeit im klimatisierten Restaurant. Essen und trinken, lesen, was ich schon bald auswendig zitieren könnte. Wenn die Chefin nicht so eine Kratzbürste wäre, würde ich fragen, ob ich mich in das »letzte Eck« des Restaurants auf meine Luftmatratze legen könne. Da kommt eh niemand hin. So aber schaue ich halt TV. Rugby, Cricket, Pferderennen. Halt die australischen, aber eben nicht meine Sportarten. Ich werde müder und müder. Was würde ich nun für ein Bett geben?! Und morgen sollte ich ja auch wieder regeneriert sein, für die nächsten km. Schlaf ist gerade momentan sooo wichtig für mich. Angeschlagener Körper und Extrembedingungen. Welche Leute an einem Nachmittag an solch einer Raststätte vorbeikommen! Natürlich viele Truck-, Pkw- und Busfahrer, die nur schnell was zu Essen und Trinken kaufen und sich dann direkt wieder auf den Weg machen. Busse, die gleich eine ganze Meute raus lassen, so dass der hiesige Shop hoffnungslos überfüllt wird, bevor hier nur wenige Minuten später alles wieder im Tiefschlaf versinkt. Auch zwei Busse, voll gesteckt mit Aborigines-Schulkindern, stoppen. Ihre Busse fallen in dieser zivilisierten Gesellschaft doch sehr auf, sie haben »niedrigst-asiatisches Niveau«. Da sind zwei Typen höchstens in meinem Alter, die erst vor 28 Stunden im 2400 km entfernten Adelaide losgerast sind und die heute noch unbedingt in Darwin ankommen wollen, obwohl sie schon total übermüdet sind und zudem bald die Nacht schon wieder beginnt. Scheinbar sind solche Distanzfahrten »ihr Sport«. Aber weder für sie noch für andere ungefährlich. Vor der Weiterfahrt hüpfen sie noch vor ihrem Auto rum wie Leichtathleten vor dem Startschuss. Plötzlich spricht mich eine Frau von den Zeugen Jehovas an. Ich wimmle sie – weil ich müde bin – ab, indem ich ihr sage, dass ich katholischer Priester werden würde und für fünf Jahre die Bibel äußerst ausführlich studiert hätte. durch Zufall kommen wir Minuten später doch noch ins Gespräch. Sie weiß alles besser und lässt meine Argumente absolut nicht zählen. Natürlich lächelt sie immer dabei. Es ist aber ein überhebliches Lächeln. Mich frustriert das. Aber ich gebe mir Mühe und erzähle ihr mit aller Begeisterung von all den von mir erlebten Kulturen und Religionen in sechseinhalb Monaten Asien und wie viel wir von denen lernen könnten. Und dass ich es traurig finde, dass nicht einmal wir uns verständigen können, obwohl wir uns doch beide auf Jesus Christus berufen. Wir streiten aber nur und auf beiden Seiten bleibt Unverständnis. In Asien aber hatte ich Städte erlebt, in denen alle Weltreligionen ihre Gotteshäuser direkt nebeneinander haben, sich aber nicht bekriegen, sondern friedlich neben- und teilweise sogar miteinander ihr Dasein fristen. Sie scheint das alles kalt zu lassen. Zwar schweigt sie mal kurz, aber dann kommt ganz trocken: »Mich interessieren andere Religionen gar nicht, darum brauche ich sie auch nicht kennen zu lernen!« Sie habe die einzig wahre Religion und das werde sie auch überall mit soviel Nachdruck vertreten wie sie nur könne. Soviel Fanatismus, Unverständnis und fehlende Toleranz. Nur traurig – für mich. Vorgestern noch Merfi und heute diese Frau. Können Gegensätze größer sein? Am Abend begegne ich noch einer Studentin aus Gießen. Sie befindet sich seit knapp drei Monaten auch auf Weltreise. Von nun an haben wir fast dieselbe Route und auch einen ähnlichen Zeitplan. Leider fährt ihr Bus schon wieder weiter. Nach dem Sonnenuntergang baue ich mein Zelt auf. Da die Hitze noch steht, verzichte ich wieder auf mein überzelt – dennoch fließt der Schweiß wieder in Strömen. Aber ich bin sooo müde, dass ich trotzdem bald einschlafe.