24. November

Werde gegen halb vier wach. Ausnützen und aufstehen. Nach ausgiebigem Frühstück geht es bei einsetzender Dämmerung wieder auf die Straße. Ein nicht weit entferntes Gewitter verzieht sich Gott sei Dank. Das Rad ist schwer beladen. 10 l Wasser und viel »Futter«. Ich bekomme das v. a. bei den – inzwischen deutlich weniger gewordenen – leichten Steigungen zu spüren. Herrlicher Sonnenaufgang. Wind kommt auf, von hinten. So rollt es fein. Während einer Pause kommt ein Landrover herbei gefahren. Ein Frankfurter Ehepaar im mittleren Alter. Sie sind auf halbjähriger Australienreise, seit `91 machen sie nur noch hier Urlaub. Langes Gespräch. Gut für die Seele, schlecht für den Körper, denn so werde ich noch mehr in die Hitze geraten. Was fasziniert eigentlich die Menschen so am Outback? Die unglaubliche Weite? Die scheinbare Unberührtheit der Natur? Oder das Gefühl der Freiheit? Dass man hier seine Ruhe hat, da man fast alleine ist? Die einzigartige Flora und Fauna, die sich aufgrund der Isolation des australischen Kontinents von anderen Orten auf der Welt unterscheidet und eine viel größere Vielfalt zu bieten hat, als es auf den ersten Moment erscheint? Ich weiß keine Antwort auf diese Frage. Ich weiß nur, dass für mich das Interessanteste das Farbenspiel der Natur ist. Dies besteht an sich nur aus drei Farben, aber unendlich vielen Tönen. Klar, da ist zuerst das Rot der Erde. Natürlich das Blau des Himmels. Und nicht zuletzt das Grün der Gräser, Sträucher und Bäume. Mitentscheidend beim »Farbenmix« ist die Sonne. Kurz vor und während ihres Aufgangs gibt sie dem Horizont eine besondere Note. »Unten« feuerrot, ein Rot, das sich nach »oben« hin immer mehr abschwächt und langsam in das noch zarte Blau überzugehen scheint. Im Laufe des Tages werden die Farben impulsiver. Das Blau erstarkt zu einer kräftigen Natur und setzt sich damit deutlich von dem inzwischen leuchtenden Rot ab. Und dazu, mal mehr, mal weniger, das Grün, das nach einem Regenschauer erblüht, ansonsten aber auch bis in die Grautöne hineinreichen kann. Am Nachmittag kommen dann Wolken auf, die noch die Dimension des Schattens ins Spiel bringen. Und am Abend dann der Sonnenuntergang. Der Feuerball senkt sich, gibt den Wolken und dem gesamten Horizont einen roten Anstrich. Die Natur hingegen verliert wieder an Farbintensität, wird mehr und mehr vom dunkel der Nacht umfangen und wartet auf das nächste Schauspiel in der Dämmerung. Um die Mittagszeit erreiche ich bereits das Roadhouse. Ich genieße die angenehme Kühle. Wieder draußen, wird es dann extrem heiß. Backofentemperaturen. 42° C – natürlich im Schatten. Der Wind hat auch noch gedreht, so werden die letzten 25 km des Tages noch ganz schön anstrengend. Aber dann ist es geschafft. Tennant Creek, noch 2040 km nördlich von Adelaide, ist erreicht. Diese Goldminenstadt ist mit 3500 Einwohnern die viertgrößte Stadt des Northern Territory. Ab in die Jugendherberge, mein achtköpfiger Schlafraum ist noch leer. Die Dusche tut heute besonders gut, da der Wind den Sand kräftig durch die Luft blies und mich sozusagen rotbraun »anstrich«. Emailen an einer Schule. Die Schüler können hier den ganzen Tag die PCs kostenlos nutzen. Internet nutzt kaum einer, alle machen sie irgendwelche gewalttätigen Computerspiele. Am Nachmittag stehen die PCs auch anderen Leuten zur Verfügung. Allerdings nur zweieinhalb Stunden. Zu wenig für den nächsten Reisebericht, genug, um alle Emails zu lesen und wenigstens ein paar zu beantworten. Meine Oma ist vor sechs Tagen gestorben und wird in gut drei Stunden beerdigt. Auch wenn sie schon länger nicht mehr so viel mitbekommen hat, trifft es mich dennoch. Zudem eine Rüge meines Vaters, was extrem selten vorkommt. Eben aufgrund meiner neuesten spinnerten Idee, doch mit dem Rad durch die Wüste zu fahren – trotz aller ungünstigen Voraussetzungen. Und welche Rüge könnte mich mehr beeindrucken – zumal sie berechtigt ist – als die meines Vaters, den ich so sehr schätze? Wieder einige Aborigines. Mit einigen unterhalte ich mich sogar ein bisschen. Aber an ihr Innerstes komme ich natürlich nicht. So bleiben sie für mich weiterhin nur ein faszinierendes Rätsel. Zurück zur Jugendherberge. Inzwischen ist noch Michi aus Bregenz da. Später treffen noch der Holländer Sander und die Engländerin Tracy ein. Unser »Gesprächskreis« wird so immer weiter. Alle sind sie für ein paar Monate unterwegs, aber außer Australien wollen sie kein anderes Land bereisen. Es wird spät, Mitternacht. Die Nacht wird also wieder kurz, einreißen lassen sollte ich das bei meinen derzeitigen Belastungen aber nicht.