Der Bus kommt tatsächlich rechtzeitig morgens in Dogubayazit an. Irgendwie erscheint mir der Ort heute etwas sympathischer als letzte Woche. Ich treffe einen Iraner, der in den nächsten vier Monaten mit dem Rad nach Kroatien und zurück fahren will. Mir soll es recht sein, wenn es mehrere Iraner von dieser Sorte gibt. Ich fahre los, ab jetzt nur noch in langen Hosen. In Trabzon am schwarzen Meer habe ich mir auf dem dortigen Bazar noch ein paar billige Hosen besorgt. Kurz hinter dem Ort wollen mich zwei junge Burschen anhalten. Da ich freundlich grüßend vorbeifahre, schlagen sie mir mit ihren Stöcken auf meine Radtaschen. Kurz darauf werde ich von zwei gerade dem Kleinkinderalter entwachsenen Kinder nach »etwas zum Rauchen« gefragt. Auf der Straße ist fast überhaupt kein Betrieb. Ich bin fast allein. Mir ist ein bisschen unheimlich. So bin ich froh, dass bereits acht km vor der Grenze der Stau der auf die Einreise in den Iran wartenden Lkw-Fahrer beginnt. Es sind Lkws aus vielen Ländern. Die Fahrer schlafen, essen, beten, sitzen und warten. Wie lange? An der Grenze habe ich einige Kontrollen über mich ergehen zu lassen, u. a. auch eine – allerdings nur pro forma – Gesundheitskontrolle. Ich gehe zur Touristeninformation und gerate an einen freundlich wirkenden Mann, der mir auch einige Infos über den Iran liefert. Später allerdings falle ich auf ihn herein. Er wechselt mir in einem schlechten Kurs amerikanische Dollar in iranische Rial. Aber ich bin selbst schuld, denn ich hatte mich nicht genügend über den aktuellen Wert des Rial informiert. Ich treffe auch noch einen Münchener, der in drei Monaten mit Bus und Bahn von Istanbul bis Dehli reisen will. Er rät mir davon ab, durch den Süden Pakistans zu reisen. Hier muss ich nun auch meine Uhr um eineinhalb Stunden vorstellen. Dies wird auch Zeit, denn zuletzt in der Türkei (nur eine Stunde vor MESZ) ging die Sonne trotz des Hochsommers schon vor 20:00 unter. Das Wetter ist optimal (sonnig, aber auch in den langen Hosen nicht zu warm), die Straße hat absolut mitteleuropäische Qualität und die Menschen werden immer freundlicher, umso weiter ich mich von der Grenze entferne. Hier will mir auch niemand mehr Geld tauschen. Die Landschaft ist der im anatolischen Hochland ähnlich. Es wechseln leicht begrünte Flusstäler mit schroffen und kargen Gebirgslandschaften (»wildes Kurdistan«). Ich bewege mich dauernd auf einer Höhe zwischen 1500 und 2000 m. Ich hoffe, dass dies eine gewisse Akklimatisierung für den Himalaya bedeutet. Am Mittag halten mich zwei Polizisten an. Sie sprechen sehr gut Englisch, so dass wir uns eine ganze Weile unterhalten. Sie wollen den Iran verlassen und in Deutschland studieren. Als ich ihnen zusage, ihnen, so weit ich kann, bei der Beschaffung bestimmter Unterlagen zu helfen, fallen sie mir vor lauter Rührung fast um den Hals. Die Frauen sind nun alle total verschleiert. Ich vermeide es, mit Frauen zu sprechen, da ich sonst gegen bestimmte Regeln verstoßen und damit auch das Ehrgefühl vieler Menschen verletzen würde. In der öffentlichkeit wird auch eine strikte Geschlechtertrennung durchgeführt (z. B. gibt es im Bus bestimmte Eingänge und auch Sitzplätze sowohl für Frauen als auch für Männer). Dennoch fällt mir auf, dass hier auch Frauen in öffentlichen Berufen arbeiten. So werde ich in der Post von Frauen bedient. Dies ist noch ein überbleibsel aus der Modernisierungspolitik der Pahlawi-Schahs (1925-1979). Erst die »Islamische Revolution« (1979) hat wieder die alten Zustände herbeigeführt. Seitdem gibt es wieder eine vorgeschriebene Kleiderordnung und auch sonstige viele Ge- und Verbote. Denn es herrscht hier ein geistliches Regime, das versucht, die islamische Religion in allen Bereichen der Gesellschaft durchzusetzen. Dies ist nicht allen Menschen hier recht, aber sie haben sich dem zu beugen, ansonsten haben sie mit drakonischen Strafen zu rechnen. Und es ist äußerst schwierig, legal auszuwandern. Am Abend treffe ich vier jugendliche Radler, die von ihrer Heimat nahe der türkisch- iranischen Grenze bis nach Tehran zum Grab Khomeinis radeln wollen. Ich radle ein Stück mit ihnen zusammen. Mit einem fahre ich ein bisschen voraus. Er singt mir ein iranisches Lied vor, nun soll ich ihm ein deutsches vorsingen. Mir fällt keines ein, da singe ich ihm eines aus österreich (»Fürstenfeld«). Ich gehe etwas zu Abend essen. Nun habe ich das Problem, dass ich weder die Sprache, noch die Namen der Gerichte, noch die mir völlig fremden persischen Schriftzeichen kenne. Für alles gibt es eine Lösung. Der Koch zeigt mir eben alle Kochtöpfe und ich soll auswählen! Es schmeckt wunderbar und ist zudem noch billiger als in der Türkei. Für zwei DM kann man sich kugelrund essen. Ich treffe hier einen Türken und fühle mich gleich »heimisch«. Denn mit ihm kann ich mit meinen in den letzten Wochen erlernten Brocken Türkisch über die Türkei plaudern und mit vielen Gesten (die hier scheinbar schon wieder niemand versteht, z. B. alle fünf Finger einer Hand ausgestreckt und bei den Kuppen zusammengeführt bedeutet »Güsell« = »super«) verständlich machen. Ich suche eine Möglichkeit zu übernachten, denn es dämmert bereits sehr stark und beginnt (mal wieder) natürlich zu regnen. Ich sehe ein altes, unbewohntes Häuschen. Da will ich hin! Aber auf dem Weg dahin gerate ich in tiefen Schlamm, mein Rad ist total verdreckt und mein Herz blutet. Mein schönes und bisher so gepflegtes Rad. Ich baue mein Zelt in dem Haus auf, da hier der Wind stark durchpfeift. Danach suche ich noch das schon lange angekündigte Truck-Restaurant, denn ich habe riesigen Durst und schon länger nichts mehr zu trinken. Ich finde es nicht, sehe aber eine Polizeistation. Dort bekomme ich Wasser und das hier so verbreitete und traditionelle Fladenbrot. übrigens wird hierbei der Brotteig zum Backen direkt an die innere Ofenmauer geklatscht. Sowie das Brot fertig gebacken ist, löst es sich von der Mauer und wird mit einem langen Spieß aus dem Ofen hervorgeholt. Ich gehe zurück in mein Zelt. durch den Wind werden Furcht erregende Geräusche ausgelöst. überall pfeift es und die Tür klatscht ständig gegen die Mauer. Plötzlich meine ich, dass noch jemand hier ist und um mein Zelt geht, bevor er wieder verschwindet. Ich bekomme Panik, streife noch schnell meine lange Hose über und schlüpfe in die Schuhe, bevor ich zur ca. 200 m entfernten Polizeistation sprinte. Diese beruhigen mich und kommen mit mir zu »meinem« Haus und helfen mir, alles abzubauen. So schlafe ich dann direkt vor der Polizeistation.