26.–31. August

Langsam, aber sicher geht meine Zeit auf dem indischen Subkontinent zu Ende. Aber die Freude auf Südostasien überwiegt bei weitem die Trauer über den Abschied von Nepal. Mit meiner Gesundheit geht es weiter leicht bergauf. Inzwischen kann ich auch wieder länger sitzen, ohne gleich Schmerzen zu bekommen. So bin ich endlich ohne Einschränkung in der Lage, mein Tagebuch mal wieder auf den aktuellen Stand zu bringen und dementsprechend auch meine Reiseberichte fortschreiben zu können. Auch mein (durch die Tibet-Tour angeschlagenes) Rad wird für Südostasien auf Vordermann gebracht. Sonam und dessen Bruder vom hiesigen Radgeschäft »Dawn till dusk« machen wieder glänzende Arbeit. Mein gebrochener Ständer wird ersetzt, meine vom tibetischen Staub verschmutzte Kette wird ebenso wie das Ritzelpaket fachmännisch gereinigt, die Bremsklötze ausgetauscht und mein von meinem Vater gesendetes neues Hinterrad (das Edelste, das ich ja gefahren habe!) wird eingesetzt. Zu guter Letzt werden noch zwei neue Reifen aufgezogen. Endlich werde ich nun mit Slicks unterwegs sein dürfen. Das neue Rad »muss« ich gleich mal Probe fahren. So komme ich auch mal abseits der mir bekannten Straßen in Kathmandu. Mit Fernando fahre ich zum hiesigen »Durbar Square«. Dieser ehemalige Palastbezirk der Malla-Herrscher ist nach wie vor der eigentliche Mittelpunkt der Metropole Nepals. Hier gruppieren sich Palastgebäude und Tempel in enger Verflechtung. Zum ersten Mal sehe ich endlich die für Nepal so typischen Pagodentempel (hinduistische Tempelform, bestehend aus mehreren Stockwerken mit jeweils einem »ausschwingenden« Dach). Der Palast hier diente dem König bis in unser Jahrhundert hinein als Wohnsitz. In der Nähe war in den 60er-Jahren die Keimzelle des Individualtourismus der Hippie-Generation (»Freak- Street«). Vieles hat sich zwar verändert, die jungen Leute von heute legen z. B. viel mehr Wert auf Komfort und auch der Verkauf von Hasch und anderen Drogen ist hier nicht mehr legal. Dennoch ist dieser frühere Einfluss noch immer zu spüren: überall bekommt man noch Hasch (flüsternd) angeboten und es kommen auch noch viele »alternative« Individualreisende her. Am nächsten Tag geht es dann – gleichfalls mit dem Rad (macht riesigen Spaß!) – nach Patan. Diese nur 5 km südlich von Kathmandu gelegene Stadt gehört zu den drei wichtigsten Städten des Kathmandu- Tals. Ich besichtige einen Tempel und treffe dabei James aus Manchester. Er ist Agrarwissenschaftler und war hier auf einem dreitägigen internationalen Kongress. Nun hat er noch ein paar Tage Urlaub. Wir besichtigen zusammen den kulturellen Höhepunkt Patans, den hiesigen »Durbar Square«. Die vielen, teilweise mit Gras bewachsenen, Tempelanlagen faszinieren mich. Der Eintritt IN den Tempel ist aber – wie gewöhnlich- den Hindus vorbehalten. James erzählt mir beim anschließenden Tee von den faszinierendsten Travellern Großbritanniens, v. a. von dem ehemaligen Schauspieler (»Mounty Payten«? Wie wird das geschrieben?), der vom Nordpol bis zum Südpol gereist ist. James will eines Tages vielleicht auch mal um die Erde reisen – unter agrarwissenschaftlichem Gesichtspunkt. öfters »flaniere« ich nun auch mal durch die Innenstadt, wälze Reiseführer und hole erste Informationen über meine noch bevorstehenden Länder ein. Dabei treffe ich auch Ram aus dem benachbarten Bhaktapur. Er ist 20 Jahre alt, studiert »Economics« und arbeitet in einem Café als Kellner. Ca. 70 Stunden in der Woche, dafür bekommt er ganze 30 DM im Monat! Ich hatte Ram bereits bei meinem ersten Aufenthalt in Kathmandu kennen gelernt. Er stand kurz vor seinem ersten Flug und überhaupt vor seiner ersten Reise ins Ausland. Er wollte nach Lhasa. Er flog am gleichen Tag und in der selben Maschine wie ich! In Lhasa haben wir dann noch ein bisschen was zusammen unternommen und ich hatte ihm versprochen, ihn in Katmandu noch mal zu besuchen, wenn ich zurückkomme. Nun hat er mich bereits längst in Thailand vermutet und war ganz überrascht, als ich ihn auf seiner Arbeitsstelle »aufspürte«. Jetzt erst erfahre ich seine schwierigen Lebensumstände. Sehr viel Arbeit, noch viel weniger Geld und all die Anforderungen des Studiums. Das ist wahrlich eine Menge! Dennoch wirkt er immer ausgeglichen und auch rechtzufrieden. Oft strahlt er sogar. Am nächsten Tag besichtigen wir den so genannten »Affentempel«. Dieser Tempel liegt auf einer Anhöhe. Faszinierende Atmosphäre! Viele Pilger sind bereits am Morgen unterwegs. Andacht. Die Gebetsfahnen, die man überall in Tibet sieht, flattern auch hier an allen Ecken. Auch viele (Butter-)kerzen brennen. 365 Treppenstufen, die von einigen Statuen gesäumt werden, müssen wir erklimmen, bevor wir den Hügel erreicht haben. Im Uhrzeigersinn drehen die Gläubigen ihre Runden um den buddhistischen Tempel. Besonderes Merkmal des Swayambunath-Stupa ist sein überdimensionierter, vergoldeter quadratischer Aufsatz mit der hoch in den Himmel ragenden Turmspitze. In die vier Himmelsrichtungen blicken die alles sehenden Augen des Buddha. Und das für mich Großartigste: direkt nebenan steht ein hinduistischer Tempel! Statt Berührungsängsten zwischen den Religionen herrscht hier in Nepal ein immer wieder zu beobachtendes Miteinander. Toll! Yorit und Aviram verlassen Kathmandu wieder, ihre »Mission« ist mit der Genesung der älteren nepalesischen Frau erfüllt. Sie setzen ihre Hilfstätigkeiten in Westnepal (Schaffung aller Voraussetzungen, um Elektrizität empfangen zu können) fort. Ich habe großen Respekt vor ihnen! Inzwischen bin ich auch in der Lage, am Abend mal wieder auszugehen. Dabei treffe ich Jana und Maurice, die ein paar Tage nach mir Deutschland verlassen und den GANZEN Weg hierher mit Busen und Trucks zurückgelegt haben. So soll es noch ein halbes Jahr weitergehen – mindestens bis Australien. Jetzt, am Ende meiner Zeit hier, entdecke ich auch noch einen Pub, der mir ganz gut gefällt. Gemütliche Einrichtung, brauchbare Musik und fröhliche Menschen. Einer ist »übermäßig fröhlich«, da er zu tief ins Glas geschaut hat. Lars aus Oslo. Seine langjährige Freundin hat ihm gerade den Laufpass gegeben. Er erzählt mir seine Geschichte. Armer Kerl, aber er wird da schon durchkommen. Langsam läuft die Touristensaison wieder an, denn die Regenzeit neigt sich dem Ende zu. Sie kommen aus allen Kontinenten und werden durch alle Altersschichten vertreten. Ich leiste mir »Die Zeit«, da sich momentan gerade einiges in der Weltpolitik zu bewegen scheint. überall Krisen. Teils wirtschaftliche, teils politische. Die Ereignisse in Russland machen mich nachdenklich. Aha, auch der vierte Anlauf des Millionärs und Abenteurers Steve Fossett, die Erde als erster Mensch mit dem Heißluftballon zu umrunden, ist also gescheitert. Ob es noch jemand schafft, bevor ich auf dem Land (und in der Luft!) die Erde umrundet haben werde? über Fernando mache ich noch einige Erfahrungen mit der hiesigen Kultur. Als er mich im Krankenhaus besucht hat, hatte er sich öfters mit einer sympathischen Krankenschwester unterhalten. Lange versuchte er, sie mal zu einem Umtrunk einzuladen. Immer schlug sie ab, obwohl wir das Gefühl hatten, das sie es gerne wahrnehmen würde. Immer ohne Erklärung, sie lächelte dabei nur verlegen. Nun aber war sie doch »bereit«, sich mit Fernando mal zum Frühstück zutreffen. Sie brachte Fernando sogar eine tolle Buddhastatü mit. Natürlich aber auch ihre Freundin. Denn nepalesische Frauen werden gleich als »Flittchen« abgestempelt, wenn sie mal mit einem Mann, noch dazu mit einem Ausländer, ausgehen. Dabei ist das für die Burschen Nepals das Normalste der Welt. Ungerechte Welt: Für die gleiche Sache wird Männern Bewunderung entgegengebracht, wohingegen die Frauen dafür verurteilt werden. Natürlich könnte Allie, die Krankenschwester, auch niemanden heiraten, der nicht ihrer Kaste angehört. Das ist für sie aber normal: »Warum wundert Ihr Euch darüber?«