27. September

überraschenderweise sind viele Geschäfte am Sonntag hier geschlossen. In einem islamischen Land hätte ich das eher freitags erwartet. Die unbefangene Herzlichkeit Thailands und auch der ersten 50 km in Malaysia weicht ein bisschen »zugunsten« von Zurückhaltung der Einheimischen. Noch immer grüßen mich einige, manche auch überschwänglich, aber es sind deutlich weniger geworden. Die Landschaft ist ein bisschen fad. Entweder derjenigen in Südthailand sehr ähnlich oder ich erblicke gar weite, gerodete Flächen. Flaches Land und mehr Industrie als zuletzt. So ist das Radeln ein bisschen langweilig, zumal ich mich auch ein bisschen müde nach der gestrigen langen Etappe fühle. Mitten in dieser etwas emotionslosen Periode sehe ich zum ersten Mal in Südostasien einen Reiseradler, der auch noch in die gleiche Richtung zu pedalen scheint. Er befestigt gerade am Straßenrand seine sehr einfachen »Radtaschen«, bestehend aus einem Rucksack und einer gewöhnlichen Reisetasche. Es ist Barry aus Chicago. Nach seinem Studium arbeitete er für zweieinhalb Jahre in Japan, bevor er zuletzt noch mal für ein halbes Jahr in China studierte. Dort begann er auch seine Reise, die ihn über Vietnam und Kambodscha nach Thailand führte. In Bangkok kaufte er sich ein Rad und ist so nun auf dem Weg nach Singapore. Da wir beide heute nach Penang wollen, beschließen wir, dies zusammen anzugehen. Der Verkehr auf der Bundesstraße 1 ist stark. Leider geht es auch durch viele Ortschaften, in denen der Verkehr regelrecht chaotisch wird. Das nächste Mal gehen wir wohl wieder auf den Highway, das ist sicherer. Aber an den (vielen) Ampeln halten sie wirklich ALLE an. Ich muss mich wieder umgewöhnen. Zu Mittag essen wir mal wieder an einer der vielen Garküchen. Das Typischste hier: Reis mit vielen verschiedenen Gemüsesorten. Das Leitungswasser in Malaysia soll man sogar sicher trinken können, überall bekommt man es auch angeboten. Barry trinkt es auch. Ich aber will nichts riskieren, gehe auf Nummer sicher und besorge mir immer Mineralwasser, auch wenn das manchmal nicht einfach ist. Der erste Blick vom Festland auf die Insel »Pulau Pinang« haut mich fast um: Eine Menge Hochhäuser! Na ja, 400 000 Einwohner – allein in der Inselhauptstadt Georgetown – müssen halt irgendwo untergebracht werden. Um auf die Insel zu gelangen, gibt es zwei Möglichkeiten. Erstens eine 20-minütige Fähre. Aber warum einfach, wenn es auch kompliziert geht? Denn hier gibt es mit der 13,5 km langen »Penang-Brigde« die längste Brücke Südostasiens. Barry erzählt mir zwar, dass in seinem Reiseführer stünde, dass es nicht möglich sei mit dem Rad über die Brücke zu fahren, aber wenigstens anschauen und vielleicht auch probieren wollen wir es dennoch. Nachdem wir endlich die Auffahrt auf die Brücke gefunden haben, sehen wir auch ein Verbotsschild für Fahrräder. Aber das stört uns nicht weiter. dumm stellend fahren wir an der Zollstation vorbei. Gerade als wir die ersten Fotos von der Brücke Richtung Georgetown geschossen haben, kommt ein Polizeiauto und winkt uns zur Seite. Wir machen so, als verstünden wir diese Geste nicht, winken freundlich zurück und fahren weiter. Wieder folgen sie uns, diesmal krallen sie sich Barry, den sie mit samt seinem Rad hinten im Kleinbus »verstauen«. Mich winken sie noch ein drittes und viertes Mal raus, bevor ich auch kapituliere und zur Seite fahre. Ich schleime mich aber gleich bei ihnen ein, indem ich mich häufig entschuldige. Die Polizisten sind sehr freundlich. Wir unterhalten uns mit ihnen und dann lassen sie uns sogar – nachdem wir ihnen schriftlich versichert haben, dass wir ALLEIN das »Risiko« für die Brückenüberquerung tragen, weiterfahren. Allzu gefährlich empfinde ich es nun wirklich nicht. Der Verkehr läuft recht diszipliniert ab und wir passen gut auf. Die Skyline von Georgetown kommt immer besser in den Blick. Und schon geht es in der Dschungel der hiesigen Straßenschluchten. Recht schnell finden wir ein preiswertes Hotel. Allerdings sind die Unterkünfte in Malaysia doch um einiges teurer als auf dem indischen Subkontinent oder auch in Thailand. So muss ich meine Ansprüche wieder runterschrauben, u. a. werde ich so schnell wohl keine Klimaanlage mehr in einem Hotelzimmer sehen. Ich mache mich gleich auf, um etwas zu Essen und Trinken zu finden. Schnell bin ich in einem besonders interessanten Viertel von Georgetown: Ich sehe, höre, rieche und fühle den besonderen Reiz dieser Stadt, nämlich ihren kosmopolitischen Charakter. Innerhalb weniger Hunderter m befinden sich hier fünf Stätten von fünf verschiedenen Religionen. Zunächst sehe ich den farbenprächtigen und mit vielen Götterfigurenverzierten »Sri Mariammam-Tempel«. Trommelschläge rufen gläubige Hindus zur Verehrung der Götter. Nur wenige m weiter steht der »Guan Yin Ton«, der älteste und traditionsreichste Buddhisten-/Taoisten-Tempel der Insel. Hier sehe ich tanzende Drachenfiguren auf geschwungenen Dächern, farbenfrohe Götterbilder, lächelnde Buddhas und vor dem Tempel öfen, in denen Papiergeld und Wunschzettel verbrannt werden. Zudem kann ich den von mir so lieb gewonnenen Geruch von Räucherstäbchen wahrnehmen. Es folgt eine etwas untypische, da ganz in Weiß gehaltene, anglikanische Kirche, »St. George the Martyr Church«. Neoklassizistisch. Gerne hätte ich mal wieder eine Kirche von innen gesehen, aber leider ist sie verriegelt. Ich kehre um und treffe genau auf die von hübschen Gärten gesäumte und ockergelb leuchtende »Capitan-Kling-Moschee«, dem Wahrzeichen Georgetowns. Geprägt wird diese von maurischen Arkaden, schlanken Säulen, einem hoch aufragenden Minarett sowie einer gewaltigen Kuppel über dem Gebetsraum. Schließlich stoße ich noch auf das größte und angeblich schönste chinesische Clanhaus in Malaysia, das »Khoo Kongsa«: Mächtiges Dach, prächtige Verzierung, im Inneren filigrane Kunstwerke mit Szenen aus der chinesischen Mythologie. Toll hier. Die nicht geringe Anzahl von Touristen stört hier auch nicht, da sie hier nicht das Ausschlaggebende sind, das die Stadt prägt. Das sind eher die Chinesen, die sich hier schon vor längerer Zeit ansiedelten und bis heute tonangebend auf der Insel geblieben sind. Ganze Straßenzüge sind von einheitlich gestalteten, mit chinesischen Schriftzeichen versehenen Fassaden gesäumt. Georgetown hat keine Chinatown, sondern IST eine Chinatown und zwar die größte außerhalb Chinas! Aber mit einer »Britishtown« (mit interessanten Kolonialgebäuden) an der Peripherie, kleinen indisch geprägten Enklaven im Zentrum, malaysischen Pfahlbausiedlungen am Ufer des Penang River und vereinzelten, wie zum Kontrast hineingesetzten »Wolkenkratzern« aus Glas und Beton. Diese Vielseitigkeit ist wahrlich beeindruckend. Das Prädikat »Perle des Orients« erscheint mir so auch wirklich nicht übertrieben! Spät am Abend treffe ich mich noch mal mit Barry, um mit ihm ein Bier trinken zu gehen. Es lassen sich leicht einige gemütliche Pubs finden. Bier im islamischen Malaysia – zumindest in Georgetown kein Problem. Im TV läuft Häkkinens Sieg über »Schumi« auf dem Nürburgring. Die Eifel für 1 1/2 Stunden zum Greifen nah.