31. Juli

Die Chinesen aus Camp II sind in der Nacht noch im Base-Camp eingetroffen. So können sie heute mit drei Landcruisern und einem Truck Richtung Lhasa aufbrechen. Und da im Truck noch Platz ist, Martins Pedal und mein Hinterrad unreparierbar schwer beschädigt sind und wir diese »Sackgasse« zum »Everest-Base- Camp« in anderer Richtung eh schon heraufpedalt sind, fragen wir sie, ob wir die 85 km bis zur Hauptstraße im Truck mit zurückfahren können. Sie scheinen noch ein bisschen verärgert über unsere gestrige »leise«, aber doch vernehmbare, Kritik an der chinesischen Politik in Tibet. So überlassen sie dem Truckfahrer die Preis- Verhandlungen, der dies unverschämt ausnützt. Einer der Expedition hilft uns dann doch noch ein bisschen und wir sagen diesem Deal zu. Wir freuen uns so, dass wir es uns nun schenken können, diese miserable Straße ein zweites Mal unter die Räder nehmen zu müssen. Ab nach Kathmandu!!! Aber die Freude währt nicht lange. Mit die schlimmsten Stunden meines bisherigen Lebens beginnen. Wie soll ich das noch umschreiben? In meinem Studium habe ich stundenlange Diskussionen gehört, was denn die »Hölle« sei. Hier scheint sie leibhaftig direkt zu uns auf die Erde gekommen zu sein. Wir liegen auf der Ladefläche des Truck, die zum großen Teil wenigstens mit recht »weichem« Gepäck bestückt ist. Der Truckfahrer holt ALLES aus seinem Gefährt heraus, bremst nur vor zu durchfahrenden Bächen oder Flüssen ab; Steine dagegen, auch wenn sie noch so groß sind, stören ihn dagegen nicht. Aber uns! Wir fliegen jedes Mal bis zu 1 m(!) durch die Luft, knallen wieder auf den Packtaschen auf, jauchzen und jammern laut und verspüren immer mehr Schmerzen. Viele blaue Flecken kündigen sich an. Bereits nach 10 km (WIE soll ich die restlichen 75 km noch aushalten???) schreie ich einmal so laut auf, dass der Truckfahrer anhält und fragt, was denn los sei. Am liebsten würde ich ihn hier hinten reinstecken und selbst den Truck fahren. Wir weisen ihn darauf hin, dass er doch vielleicht ein bisschen langsamer fahren könnte. Aber damit bewirken wir nur das Gegenteil. Verdammter Kerl! Hier in Tibet wird einem aber auch wirklich gar nichts »geschenkt«. Da dachten wir, heute haben wir eine Art Ruhetag und dann kommt das: Wie gerne würde ich jetzt radeln! Mehrmals überlege ich mir (mit Fernando; Martin ist sich sicher, dass er bis zum »bitteren Ende« hier mitfährt), ob ich nicht besser aussteigen solle. Mein Rad wird hier auch öfters durch die Luft geschleudert, so dass ich gar nicht mal weiß, ob diese Truckfahrt für es besser ist als eine Fahrt auf der Straße. Aber erstens haben wir gezahlt und kaum noch Geld und zweitens will ich so schnell wie möglich nach Kathmandu. Und mit dem Truck sparen wir ca. eineinhalb Tage. Das Beschissene ist auch noch, dass wir mit dem Rücken zum Fahrerhaus sitzen und so nur die vom Truck gerade bewältigten Straßenabschnitte sehen können. WANN das nächste große Schlagloch kommt, wird uns erst offenbar, wenn es wieder poltert, klappert und wir »fliegen«. Jede Sekunde müssen wir damit rechnen. Alptraum! Und unser Fahrer rast, das ist unglaublich. Streckenweise hängt er gerade mal die Landrover ab. Wahnsinn! Ob er das extra macht? Dann aber kommt die Auffahrt zum Pass. Somit wird der Lkw viel langsamer und unser Körper kann sich ein bisschen erholen. Wir »fliegen« nicht mehr so oft, und wenn, dann nicht mehr so hoch. Dafür beginnt die Zerreisprobe für unsere Nerven: In drei steilen Kehren kommt der Truck selbst im 1. Gang nicht weiter und rollt rückwärts dem Abgrund entgegen; wir schreien, der Fahrer zieht die Bremse und schafft es dann doch noch, am Berg anzufahren. Die Abfahrt wir dann noch mal zur Krönung: Mit einem unglaublichen Karacho (M. Schumacher hätte wohl seine liebe Mühe gehabt, zu folgen) powert er runter und bremst erst kurz vor der nächsten Kehre. Die Bremsbeläge stinken schon gewaltig. Ich habe es kaum für möglich gehalten, hier noch mal gesund raus zu kommen. Aber nach dreieinhalb Stunden (Landrover brauchen normal fünfeinhalb Stunden!) ist es vollbracht: Wir sind angekommen! Ich bin aber kaum in der Lage, auszusteigen, denn ich bin total verspannt, mit den Nerven am Ende (kreidebleich) sowie mit zahlreichen Schrammen und blauen Flecken dekoriert. Mit dem Truckfahrer spreche ich kein einziges Wort, ich versuche ihn zu ignorieren. Aber einen Vorteil hat diese Kamikazefahrt: Wir haben noch fünf Stunden Helligkeit und können dementsprechend noch einige km mit dem Rad fahren. Der »Friendship-Highway« erscheint uns nach den Erfahrungen der letzten Stunden und Tage tatsächlich zum ersten Mal wie ein Highway. Aber durch den Regen ist das »Geläuf« sehr tief, was aber wenigstens für mein angeschlagenes Hinterrad (inzwischen an acht(!) Stellen aufgerissen) gut ist, denn so ist die Straße weich und die Schläge nicht so hart. Aber so kommen wir natürlich auch nur langsam voran. Dann wird es auch nochkalt und es beginnt ein starker Regenschauer, der uns bis auf die Haut durchnässt und uns zittern lässt. Die staubige Sandpiste der letzten km wird innerhalb kürzester Zeit zum Schlammweg. In den Bodenwellen stehen die Pfützen, es beginnt die Dunkelheit und noch kein Ort (wir wollen nach Tingri, um endlich mal wieder was Richtiges essen zu können) ist in Sicht. Die letzten km wollen nicht enden. Dann erreichen wir aber noch dieses Tingri, wo wir auch schnell einbescheidenes Hotel sowie ein gutes Abendessen (Bratkartoffeln und Reis! was für ein Genuss!) finden. Todmüde sinken wir spät in die Heia.