Morgens kommt der Bauer vorbei. Er ist nicht begeistert, dass ich seine Heuhaufen etwas auf dem Boden verteilt habe. Schnell aber schaut er doch wesentlich freundlicher aus seinem von der Sonne gegerbten und in tiefe Falten gelegten Gesicht und will mit mir eine Zigarette rauchen, was im Iran wesentlich seltener vorkommt als in der Türkei. Es rollt – bei starkem Rückenwind – wunderbar. Wenn das so weitergeht, bin ich heute Abend in Tehran. Dann kommt eine Abzweigung. Da ich aber nicht die Autobahn nach Tehran, sondern eine abgelegenere und hoffentlich auch weniger befahrene Straße nehmen will, nehme ich die in meiner Karte nach Süden abzweigende Straße. Die nächste Kreuzung, die mich dann wieder nach Osten führen soll, finde und finde ich nicht. Die Leute verstehen mich nicht und können mir nicht helfen. Einmal schicken sie mich in die eine, dann in die andere Richtung. Entnervt setze ich mich hin und will eine Kleinigkeit essen. Schon kommen aber ein paar Jungen angerannt. Es werden immer mehr. Bald stehen zwei Dutzend um mein Rad herum und lassen mir keine Ruhe. Da kommt mir ein herbeigefahrener Polizeiwagen gerade recht. Nach einer Weile verstehen die Polizisten sogar, was ich will und bedeuten mir, dass ich die gesamte Strecke seit dieser dubiosen Abzweigung wieder zurück fahren muss. Mir wird klar, dass ich nun Tehran heute nicht mehr erreichen kann. Dabei hatte ich mich so auf eine Dusche gefreut. Heute morgen schon waren meine Beine von der langen Hose dunkelblau gefärbt. Ich bin wieder verbappt, die Kette springt, ich habe Hunger und noch mehr Durst. So lege ich erst mal eine längere Pause ein. Danach ist es doch schon ganz schön warm, obwohl ich es mir für diese Jahreszeit und den Breitengrad noch schlimmer vorgestellt habe. Aber ich muss mich zum ersten Mal seit Wochen wieder mit Sonnencreme einschmieren, obwohl ich inzwischen doch schon einiges an Farbe abbekommen habe. Ein Vorteil hat die islamische Kleiderordnung: Ich brauche nur Hände und Gesicht einzuschmieren, da der Rest sowieso bedeckt ist. Ich komme in eine größere Stadt. Wieder stürzen sie sich auf mich: Woher ich komme, ob ich verheiratet bin und Kinder habe. Es sind immer die gleichen Fragen. Langsam halten mich die meisten für einen Bulgaren oder Türken. Vielleicht weil da ihr geographischer Horizont endet. Wie wollen sie auch mal weiter weg kommen? Sie haben andere Probleme. Seit heute gebe ich mich häufiger als Norweger aus. Das ist unproblematischer, denn Norwegen kennen die meisten gar nicht. So wird man auch nicht auf »Hitler« angesprochen, was für die Leute im Orient anscheinend noch ein interessantes Thema ist. Ich suche ein Kartentelefonhäuschen. Als ich endlich eines gefunden habe, ist meine Telefonkarte leer, obwohl ich sie nur einmal kurz benutzt hatte und sie dementsprechend noch fast voll war. Da hat sich wohl einer bei dem letzten Gedrängel meine (volle) Telefonkarte geschnappt und mir seine (leere) gegeben. Ich bin Durstig, habe aber kein einheimisches Geld mehr. So will ich in Dollar zahlen. Normalerweise freut sich hier jeder darüber. Aber entweder verstehen sie mich nicht oder sie wollen mir einfach nichts geben. Ein Schwarzhändler hat scheinbar mitbekommen, dass ich Rial brauche und kommt mir hinterhergelaufen. Ich überlege kurz, entscheide dann aber, nicht zu tauschen, da ich ihm nicht ganz traue. Seine Reaktion: Er tritt und spuckt nach mir. Ich weise ihn mit ein paar lauten pfälzischen Worten zurecht und fahre weiter. Kurz darauf finde ich etwas zum Trinken und auch eine Möglichkeit zum Tauschen. Dann aber gerate ich doch auf die Autobahn. Bis Tehran sind es aber noch gut 140 km. Schnell merke ich aber, dass es für mich hier sogar nahezu optimal ist! Ein breiter Seitenstreifen, auf dem ich gemütlich dahinfahren kann, wenig Verkehr (wohl wegen der erhobenen Maut), keine mir auf den Geist gehenden Motorrad- bzw. Mopedfahrer, die mir die ganze Zeit vor der Nase rumfahren, und auch keine sonstigen nach mir rufenden Menschen. Herrlich! Die Autobahn als Oase für den Radler? Ein Nachteil aber hat diese Autobahn. Sie ist völlig abgeriegelt, so dass ich sie nicht verlassen kann. So bleiben mir als Pausengelegenheiten nur die Autobahnraststätten. Auf einer solchen treffe ich Hamid, den Besitzer des hiesigen Kiosks. Ich soll mich zu ihm in den Kiosk setzen und mit ihm unterhalten, soweit das unsere Sprachkenntnisse zulassen. Hier geht es mir gut. Es kommen viele Leute vorbei, die sich mit mir unterhalten und mich immer wieder zum Trinken einladen. Am Abend habe ich fast einen Teeinschock. Mit Hamid ist es lustig. Er arbeitet täglich (!) von 6-24 Uhr, die restlichen sechs Stunden versucht er, im Kiosk auf einer einfachen Decke soviel Schlaf als möglich zu finden. Was er nur zu einer 35-Stunden-Woche sagen würde?? überhaupt ist zu fragen, ob es gerecht ist, dass die Leute hier viel länger arbeiten als bei uns, aber wesentlich weniger verdienen. Allerdings muss man dazu sagen, dass die Arbeit hier oft nicht so hart ist. Denn hier gibt es keine so scharfe Trennung zwischen Arbeit und Freizeit. Gibt es hier überhaupt eine »freie Zeit« in unserem Sinne? Vor dem Schlafengehen nehme ich noch meine erste Malariatablette, da ich in einer Woche bereits im Malariagebiet sein werde. Nun muss ich bis Oktober wohl jede Woche eine solche Tablette nehmen. Zu meiner überraschung spüre ich (fast?) nichts von diesem harten Medikament (Lariam).