Christoph Fuhrbach
Im November 2020 hatten Markus Kroell und ich die Idee, eine Radlangstreckenveranstaltung aus der Taufe zu heben. Sie sollte in Neustadt an der Weinstraße starten und über Berge des Pfälzerwaldes, des Schwarzwaldes und der Vogesen wieder zurück nach Neustadt führen. Über gut 1000 km mit möglichst vielen Höhenmetern. Sie sollte das Potential haben, mal ein Klassiker werden zu können. Und da sie das Spezifikum auszeichnen sollte, dass sie ausschließlich durch Mittelgebirgslandschaften führen sollte, gaben wir (inzwischen noch mit Christian Englert) ihr den Namen „MittelgebirgeClassique“. Im Mai 2022 fand die Erstausgabe statt, ich war in der Organisation mit dabei. Bei einer Zweitauflage wollte ich, u.a. des enormen Zeitaufwands wegen, nicht mehr mitorganisieren. So konnte ich als „normaler Teilnehmer“ starten.
Im September 2022 bekam ich eine „Katheterablation“, so dass mein vorher immer häufiger auftretendes Vorhofflimmern („Herzrasen“) nach gut vier Jahren verschwand. Dies steigert nicht nur meine Lebensqualität, sondern ermöglicht es mir auch, wieder mit Freude Rad zu fahren. Gleichzeitig bin ich auch wieder etwas flotter als in den letzten Jahren.
Über den Winter 2022/23 konnte ich ganz gut radfahren. Nie lang, aber sehr regelmäßig – u.a. meine Arbeitswege. Ab Mitte April konnte ich dann einige längere Touren machen, u.a. zu beruflichen Terminen nach Aachen und München. Ebenso zu den „Tagen der Utopie“ nach Vorarlberg, dabei konnte ich die ersten 420km von MittelgebirgeClassique (MC) schon einmal abfahren. Bei der letzten Testtour, einer sehr hügeligen 300km-Runde durch die Pfalz gut eine Woche vor dem Start, fühlte ich mich sehr gut. Die Form stimmte. So stieg auch langsam die Vorfreude.
Ein Aspekt kam noch dazu. Ein Freund von mir und langjähriger Wegbegleiter, Roland Blach, braucht Unterstützung. Ich schätze ihn menschlich außerordentlich – ebenso die von ihm seit Jahrzehnten geleistete Friedensarbeit. 2004 hatten wir gemeinsam die Pace-makers gegründet, ein Friedensradmarathon für eine friedlichere und gerechtere Welt. Leider ist just in diesen geopolitisch unfriedlichen Zeiten Rolands Stellenumfang gekürzt worden. Die Zukunft des Friedensradmarathons ist ungewiss. Daher haben Roland und ich gemeinsam eine Spendenaktion mit meiner Teilnahme an MC verbunden. Mit 4000 € wäre seine Arbeit für ein weiteres Jahr abgesichert.
MC kommt näher. Ich habe es in diesem Jahr geschafft, mir vorher zwei ruhige Tage einzuplanen. Zeno Bonduelle, den ich 2019 bei Transpyrennees kennen gelernt habe, reist aus Brüssel an und wohnt bei uns. Packen, Rad präparieren, Anmeldung mit bike-check und abends Pasta-Party. Treffe „alte Bekannte“ und Menschen, die ich noch nie gesehen habe. Viele Gesprächsfetzen beschäftigen mich. Abends stelle ich plötzlich fest, dass mein Hinterreifen Luft verliert! Erst nach langem Suchen stellen wir als Ursache das Ventil fest. Aufregend. Komme erst spät ins Bett – wache trotzdem schon sehr früh auf.
Morgen des Starts. Die Luft im Hinterrad hält, Gott sei Dank! Plötzlich wird alles hektisch. Trotzdem radeln Zeno und ich erst sehr spät zum nur 4km entfernten Startort in Neustadt-Diedesfeld. Punkt 6 Uhr kommen wir an, es geht sofort los. Klatsche noch ein paar Bekannte und Freunde ab, schon geht es die Kalmit, meinen Hausberg, hinauf. Schnell sind Zeno und ich in der Spitzengruppe. Die langsam fährt. Ich fahre vorne in einer 15 Personen starken Gruppe. Wir reden noch viel miteinander. Einer ist schon voraus, Lucas Becker. Mein Favorit Robert Müller ist wohl bei uns, ich erkenne ihn aber nicht. In der Abfahrt ist mir die Gruppe zu schnell, ich lasse sie fahren. Bin zusammen mit Thomas Ceyrowski. Wir kennen uns schon seit ein paar Jahren, waren schon bei mehreren Rennen zusammen und verbringen gerne Zeit miteinander. So fahren wir gemeinsam über die Lolosruhe und Drei Buchen bis nach Wernersberg. Im folgenden flachen Abschnitt ist mir Thomas einen Tick zu schnell, ich lasse auch ihn fahren. Ab und an werde ich überholt. Manchmal tauschen wir bei diesen kurzen Treffen ein paar Worte aus. Mit Manchen treffe ich mich mehrfach: wenn es bergab geht oder flach überholen mich Menschen, die ich beim Bergauffahren überholt hatte.
Das Wetter ist ideal: warm und sonnig. Ab und an feuern uns Menschen auf dem Rad an – oder vereinzelt auch Zuschauende. Wir kommen ins Elsass und gelangen nur wenig später über die Rheinebene in den nördlichen Schwarzwald. Ich liege schon über eine halbe Stunde vor meinem Zeitplan. Dennoch fahre ich noch mit viel Reserve, es geht wunderbar locker. Die Berge werden höher, mein Terrain. Nun überhole ich fast nur noch. Mir macht es richtig Freude. Wenn das so weiter geht…
Das Essen auf dem Rad klappt richtig gut. Ich habe alles Essen (getrocknete Aprikosen, selbst geschhmierte Brote und Kekse) vorne in meiner Lenkertasche. Immer wieder greife ich in meine Lenkertasche. So esse ich auch nie zu viel und mein Magen ist nie überfüllt. Aber ich habe auch nie Hunger und habe immer genug Energie. Über diesen Fortschritt freue ich mich.
Plötzlich, an der Roten Lache, steht direkt oben am Pass Roland Blach! Ich bin total überrascht. So überrascht (und im Rennmodus), dass ich Roland nur herzlich grüße und direkt weiter fahre. Erst einige Momente später kommt mir in den Sinn, dass Roland dafür vielleicht einen ganz schön hohen Aufwand betrieben hat, um her kommen zu können – und ich das nicht ausreichend gewürdigt habe.
Es ziehen am fortgeschrittenen Nachmittag dunkle Wolken über dem mittleren Schwarzwald auf. Ich mache nach 235km meine erste kurze Pause, genieße zwei Stück Kuchen mit einem Latte Macchiato. Fülle meine Wasserflaschen auf. Hinauf zum Brandenkopf erster Regen. Aber meine Motivation bleibt hoch. Christian sowie alle Medienleute (für Foto und Film) stehen am Steilstück. Christian ruft mir noch zu, dass noch niemand so schnell hier hoch gefahren sei. Auf der Abfahrt dreht sich plötzlich mein rechtes Pedal nicht mehr! So kann ich nicht weiter fahren. Was kann ich nun tun? Bergauf jogge ich, bergab lass ich es rollen. Bis zur nächsten Kleinstadt (Haslach) sind es knapp 20km… – dort gibt es auch ein Radgeschäft, aber heute – am Sonntag – ist dieses natürlich geschlossen…
In der Zwischenzeit hat es angefangen stark zu regnen, Blitz und Donner kommen dazu. Ich stelle mich an einem Bauernhaus unter. Starte heute zum ersten Mal mein Smartphone. Schreibe Roland, wie sehr mich sein „Besuch“ gefreut hat. Auch gebe ich der mich begleitenden Threema-Gruppe eine Info über meinen Zustand (und den meines Pedals).
Ein Freizeitradfahrer kommt vorbei und hilft mir. Er kann das Pedal wieder lösen, es dreht sich wieder… So kann ich zumindest nach Haslach radeln. Aber nach 1km ist das Pedal nun ausgeleiert. Es lässt sich noch (!) fahren, aber „schlappert“ schon gewaltig…
Das Gewitter zieht vor uns her. In Haslach sehe ich, dass viele Teilnehmende an MC im Döner-Laden sind. Etliche fragen mich, warum ich erst jetzt hier bin. Erzähle mehrfach die „Pedal-Geschichte“. Bin am überlegen, ob ich weiter fahre. Sportlich ist das Rennen für mich gelaufen. Die Kollegen an der Spitze des Feldes sind so stark, dass ich einen mehrstündigen Rückstand nicht aufholen können werde. Hier in Haslach gibt es einen Bahnhof, ich wäre locker noch heute Abend wieder zuhause. Auch des Regens wegen (ich bin ganz durchnässt und friere) durchaus verlockend. Dann aber fällt mir ein, dass ich mit Roland eine Spendenaktion mache. Diese macht auch nur Sinn, wenn ich weiter radle. Also will ich versuchen, wieder aufs Rad zu kommen. Christian Englert bietet mir an, seine rechte Clickpedale zu geben. Wir finden aber kein Werkzeug (8er-Imbuss), um meine Pedale abzuschrauben.
Bei dem Regen-/Gewitterwetter sind kaum noch Radfahrende unterwegs. Ich nehme mir nun vor, alle vorbeikommenden Radfahrer:innen anzusprechen und nach einem 8er-Imbuss zu fragen. Die Ersten, die ich anfrage, wollen mir direkt helfen. Er könne mal direkt beim Pfarrer im Ort nachfragen. Ich bin überrascht und teile ihm mit, dass ich Theologe bin. Er auch, Ev. Pfarrer von Hornberg (Thomas Krenz). Nach einer Weile kommt er zurück. Leider bekommen wir mein Pedal aber auch mit dem Werkzeug des Pfarrers nicht auf. Trotzdem sehr nett! Aber: der Pfarrer gab noch den Tipp, einen 83-Jährigen, der immer noch viele Räder repariert, zu kontaktieren. Wir machen uns auf zu ihm („Herr Dietrich“).
Er ist freundlich und hilfsbereit. Und er hat gutes Werkzeug. Damit bekommen wir meine Pedale ab und Christians Clickpedale bei mir dran. Ich fahre ein paar Meter und habe den Eindruck, dass ich trotz der viel geringeren Auflagefläche damit brauchbar radfahren kann. Nach langem Aufenthalt radle ich dann endlich weiter, inzwischen im hinteren Mittelfeld.
Das Gewitter hat sich weitgehend verzogen, die Straßen sind aber noch sehr nass. Über das radeln wird es mir langsam wieder warm, auch wenn meine Radhose und auch die Socken und Schuhe noch ganz nass sind. Immer wieder überhole ich Teilnehmende. Langsam wird es schon dunkel, dazu ist es in den Höhenlagen ziemlich neblig. Schöne, einsame Straßen durch den Wald. Dazwischen Dörfer. Schwarzwaldidylle. Viele rauschende Bäche, Wiesen, Wälder. Im Anstieg zum Thurner treffe ich überraschend Zeno. Ihm geht es nicht gut. Er spürt eine Art Erkältung kommen. Da ich ohnehin nicht (mehr) richtig motiviert bin, nass-frierend durch die Nacht zu radeln, kann ich Zeno anbieten, dass wir uns ein Zimmer suchen könnten. Am Thurner gab es ein Hotel. Als wir dort ankommen, ist es aber schon weitgehend dunkel. Das Hotel ist zudem vor kurzem geschlossen worden, nun gibt es nur noch ein Restaurant. Zeno versucht nun online ein Zimmer zu buchen, am ehesten noch in Hinterzarten (noch 12km) – sollte das nicht gehen, würden wir es dort in einer Bankfiliale versuchen.
Wir radeln weiter durch die Nacht. Unterwegs sind noch zwei Gasthöfe, beide haben aber zu. Im Zweiten sehen wir noch die Räder von anderen Teilnehmenden. Kurz vor Hinterzarten ruft eine Frau, ob in dieser (Rad-)Gruppe auch ein Christoph Fuhrbach dabei sei. Ihr Name ist Evelyn. Polizei ist auch gerade da, denn aufgrund von Bauarbeiten gibt es mehrere größere „Unebenheiten“ auf der Straße, was für uns Radfahrende – gerade in der Nacht – gefährlich werden kann. Direkt vor uns hat sich dabei ein Teilnehmer vorne und hinten Platten „geholt“ – aber immerhin konnte er einen Sturz gerade so noch vermeiden. Nach einer Weile bieten Evelyn und ihr Partner Rudi uns an, dass wir bei ihnen übernachten dürfen. Wir nehmen das Angebot dankbar an. Evelyn war über ihren Bruder Peter auf das Rennen aufmerksam gemacht worden. So haben wir einen schönen Abend, bekommen unverhofft eine Dusche, ein Abendessen und sogar ein Bett…
Wir unterhalten uns lange. Danach gehe ich noch gut drei Stunden schlafen, um 5 Uhr klingelt Zenos Wecker. Wir bekommen sogar noch ein Frühstück. Schön, Evelyn und Rudi auf diese besondere Weise kennen gelernt zu haben. Um 6 Uhr starten Zeno und ich. Schnell wird klar, dass es Zeno noch nicht gut geht und er das Rennen beenden wird. Schade. So verabschieden wir uns und ich mache mich auf den Weg über etliche Berge im Südschwarzwald. Bei den Abfahrten vom Rinken und auf der Stohrenstraße bin ich froh, diese nun am Tag absolvieren zu können. Es wird warm. Kurz vor dem Checkpunkt treffe ich den Pfälzer Mirko Schmidt, wir fahren ein Stück zusammen. Am Checkpunkt („Wanderheim Stockmatt“ in der Nähe des Hochblauen) esse ich Käsespätzle und genehmige mir anschließend noch ein Frühstück (das Büffet steht noch da). Klassische Pausengespräche: erzählen (und zuhören) von dem bisher Erlebten und dem Anstehenden. Mich treibt vor allem um, dass es am Nachmittag in den Vogesen erneut heftige Gewitter geben soll.
Aber noch ist es schön. Ich radle um die Mittagszeit weiter. Bin aktuell 45. Im Klassement (heute Morgen noch 56.), bekomme ich noch zugerufen. Runter in die Rheinebene. Dort ist es ganz schön warm. Über den Vogesen hängen schon schwarze Wolken.
Großes Eis. Eistee. Sowie für später gesalzene Erdnüsse und Doppelkekse. Die ersten kleinen Vogesenpässe. Treffe immer mal wieder Radfahrer, u.a. Michael Felber und Alexander Vorrath, der im letzten Jahr so schwer gestürzt war. Am Petit Ballon steile Rampen. Ebenso am Col du Platzervasel. Kurz danach starker Regen, mit großen Hagelkörnern. Weit und breit kein Unterstand. Aber nur 100m von der Straße entfernt ein alter Schuppen. Mein Rad und ich passen gerade so dort noch rein. Der Hagel prasselt laut auf das Wellblechdach. Draußen tobt nun ein echtes Gewitter. Welch Glück, dass ich diese Hütte genau in dem Moment erblickte, als ich sie brauchen konnte…
Weiter zur Route des Cretes. Fantastische Ausblicke: in Richtung Rheinebene schwarze Wolken, in Richtung Westen strahlend blauer Himmel. Da ich aber Richtung Osten (über den Grand Ballon) muss, warte ich noch ein bisschen. Habe dann auch Glück: komme nicht mehr ins Gewitter, nur noch in (leichten) Regen.
Bis zum Rennende soll es nun keine Gewitter mehr geben. Diese Aussicht setzt Energie in mir frei. Ich möchte versuchen, noch den zweiten Checkpunkt am Mont de Haut Fourche zu erreichen. Über Col du Hundsruck und nahe des Ballon d`Alsace geht es in der Dämmerung nach Giromagny, nahe Belfort. Im Dunkeln dann Richtung Plateau des Belles Filles. In der Stunde vor Mitternacht erklimme ich diesen für uns Radfahrende „heiligen Berg“. Aber ich bin nicht allein. Noch zehn Mitfahrer sind zur gleichen Zeit hier und wir begegnen uns in der Sackgasse – wenn auch oft nur kurz. Bei denen, die mir entgegen kommen, sehe ich schon von weitem von hoch oben Lichter entgegen kommen. Danach geht es auf die einsame Forststraße über den Ballon d` Servance. Rund 30km kein Haus. Auch kein Auto. Einsam. Mein Vorderlicht setzt wieder aus, weil beim hinauf fahren einfach zu wenig Strom produziert wird. Nun ist der Moment für meine Stirnlampe gekommen. Eine quälend lange und schlechte Abfahrt. Dann noch 10km, plötzlich Applaus. Sönke ist mir vom Checkpunkt entgegen gekommen, welch Freude! Kurz vor 2 Uhr treffe ich an diesem besonderen zweiten Checkpunkt ein: eine holländische Fahrradkneipe auf einem südlichen Vogesenhochplateau. Es gibt noch Nudeln mit veganer Soße, ebenso noch Brötchen mit Aufstrich. Duschen darf ich auch und sogar ein Bett in einem Viererzimmer bekomme ich. Welch Service!
Im Viererzimmer ist es sehr dunkel. Ich erkenne zunächst kaum, welches Bett noch frei ist. Als ich dann liege, merke ich dass mein Nachbar sich hin und her wälzt, offenbar nicht schlafen kann. Gegenüber schnarcht jemand. Ich schlafe direkt ein, wache um 5 Uhr wieder auf. Frühstücke noch ordentlich und sitze um 6 Uhr erneut auf dem Rad. Noch 390km mit vielen Pässen. Viele gehen durch nahezu unberührte Natur. Entsprechend sind die Straßen auf den sogenannten „Route forestiere“ aber oft eher schlecht. So sind nicht nur die Anstiege, sondern auch die Abfahrten häufig anstrengend. Am Morgen wieder sehr neblig. Manchmal gespenstisch, manchmal faszinierend. Kleine Seen („Petit Finnlandia“). Nach einem kurzen Regen klart das Wetter auf. Aber es bleibt frisch. Ich freue mich darüber, dass es mir gelingt, meine Pausen kurz zu halten. So komme ich gut voran.
Zurück in der Pfalz. Hinauf zum Hermersbergerhof wird es dunkel. Ein Auto mit Luxemburger Kennzeichen überholt mich. Hupt – anerkennend? Weiß er von MittelgebirgeClassique? Der Fahrer fährt dann immer ca. 20m vor mir. Zwischendrin hält er mal an, ich überhole ihn. Nur zwei Minuten später überholt er mich erneut und fährt immer mit geringem Abstand vor mir her. Oben hält er mich an und erzählt mir, dass er aus Canada kommt, nun hier für zwei Jahre beim Militär stationiert ist und hier (auf dem Hermersbergerhof – wo vielleicht 5 Häuser stehen) lebt… – er möchte wissen, wo ich her komme und was ich gerade mache. Ich erzähle es ihm kurz. Er wirkt auf mich sehr seltsam. Ich fahre weiter. Rund 20 min. später überholt er mich erneut. In diesem völlig unbesiedelten Waldstück löst das in mir Ängste aus.
Es ist in Kombination mit dem Nordwind und meiner nun doch eintretenden Ermüdung – kalt geworden. Ein warmes Bett wäre nun genial! Es ist auch sehr dunkel. In meinem Lichtkegel sehe ich nur die Straße, schemenhaft noch die Bäume am Straßenrand. Eigentlich kenne ich die Straßen hier ziemlich gut. Dennoch bin ich mir manchmal nicht sicher, ob ich richtig hier bin. Die Ortsschilder (und eigentlich ja auch meine Navigation) geben mir Sicherheit. Nochmal die Totenkopfstraße hinauf, endlich wird es mir wieder warm. Beim abfahren singe ich die ganze Zeit laut („Langsam find der Tag sei End… – „Fürstenfeld“), in der Hoffnung, dass so keine Wildschweine meinen Weg kreuzen. Ausnahmsweise bin ich glücklich den Wald zu verlassen und in die zivilisierte Welt zurück zu kehren. Hinauf zum Hambacher Schloss. Zeno steht dort, applaudiert. Wie schön. Bald wird mir wieder kalt, ich muss runter. Fahre noch zur offiziellen Ziellinie. Gespräche mit den Organisatoren Markus und Christian sowie mit anderen Teilnehmenden, die auch bereits im Ziel angekommen sind. Müde. Und zugleich entspannt.
Bei uns zuhause sind schon drei Radfahrer einquartiert, u.a. Zeno. Ich danke meiner Familie, dass dies möglich war.
Mittwoch und Donnerstag treffen sich alle Teilnehmenden, die schon im Ziel sind und sich Zeit dafür nehmen konnten, immer wieder im Gemeindezentrum St. Bernhard in NW, am Donnerstag abend findet noch die Finisher-Party statt. Es wird viel geredet und reflektiert. Auffallend gut zugehört, alle sind einander interessiert. Einerseits tauschen sich alle über ihre besonderen Erlebnisse und was sie dabei gefühlt haben, aus. Darüber hinaus geht es immer mal wieder um ganz grundsätzliche Fragen des Lebens: was ist mir wichtig in meinem Leben? Wie kann ich es gestalten, dass es Sinn erfüllt wird und dass es eine gute Zukunft für die Menschheit auf unserem wunderbaren Planeten geben kann? Diese Gespräche inspirieren mich. Ich bin immer wieder überrascht und zugleich zutiefst begeistert, wie schnell es in diesen Kreisen zu solch existentiellem Austausch kommt, obwohl wir uns vor wenigen Stunden oder Tagen noch gar nicht gekannt haben.
Was bleibt? Nette und inspirierende Menschen aus ganz anderen Kontexten als ich sie sonst so kenne. Die Freude und Dankbarkeit, dass ich wieder mit Freude und sogar auch wieder recht flott radfahren kann. Dass ich meine früher oft langatmigen Pausen deutlich verkürzen konnte und nicht einmal vermisst habe. Ohne das Pedalproblem hätte ich mir eine Zeit um die 60 h zugetraut. Damit wäre ich in diesem starken Fahrerfeld weit vorne gelandet. Von der Nettofahrzeit war nur Lucas Becker, der Sieger, schneller.
Danke an so Viele, die ich unterwegs getroffen habe: u.a. Christian für das Leihen seines Clickpedals, den Pfarrern von Hornberg und Hasloch sowie dem 83-jährigen Radmechaniker. Danke allen Veranstaltern und allen Checkpoint-Mitarbeitenden, danke an Evelyn und Rudi für ihre spontane Einladung sowie an so viele Mitfahrende. Ein besonderes Dankeschön an meine wunderbare Frau Monika, die mir viele Freiheiten lässt, meinem Hobby nachzugehen und die in meiner Abwesenheit sogar alleine sich großartig um Radfahrer bei uns im Haus gekümmert hat. Danke an alle, welche die Spendenaktion mit Roland unterstützt haben. Noch ist unser finanzielles Ziel nicht erreicht worden, es fehlen noch 2810 €. Daher mein nun letzter Aufruf: wer die Spendenaktion für den Friedensradmarathon noch unterstützen will, kann dies sehr gerne über folgende Bankdaten noch tun:
Friedenswerkstatt Mutlangen
DE60 6145 0050 0800 268499
OASPDE6AXXX
Stichwort: „Roland Nuclearban“
Mehr Infos dazu: https://nuclearban-tour.de/nuclearban-marathon/veranstaltung-2023/
Gleichzeitig freue ich mich, dass ich in diesem Jahr noch bei einer anderen Veranstaltung mitmachen darf, ab 19.7. 1051km mit 19.303 Höhenmetern durch die sehr hügeligen Ardennen: https://themonster.be/en/chapter-ii-2023/