Heute ist mein Ziel klar: spätestens um 16:30 Uhr will ich am Flughafen von Panama-Stadt sein. Auf dem kürzesten Weg sind dies noch 216km. Am Ende muss ich noch durch die komplette Stadt, da der Flughafen am östlichen Ende der Hauptstadt ist.
Starte wieder bei Sonnenaufgang. Schon wieder recht viel Verkehr, v.a. LKW. Der Straßenbelag ist sehr wechselhaft, von sehr glatt bis hin zu den mir schon vertrauten Betonplatten, über die ich teilweise „springen“ muss. Hoffentlich hält mein Rad…
Gestern abend war ich nur knapp über dem 8. Breitengrad und damit dem Äquator so nah wie nie auf dieser Reise (Luftlinie noch rund 900km), nun fahre ich Richtung Nordosten, der Flughafen liegt dann wieder über dem 9. Breitengrad. Der Wind kommt auch heute nur schwach von vorne, ist kein Problem – oft registriere ich ihn kaum.
Wenig Sonne heute, aber schwül. Der Schweiß rinnt wieder, wie seit Tagen besonders stark an den Armen und Händen. Die Sicht auf die inzwischen nur noch rund 1000 m hohen Berge ist heute teilweise frei. Sehr schön. Hätte gerne mal einen Abstecher in die Berge gemacht, aber die Uhr bis zum Abflug tickt. Unermüdlich…
Direkt um mich herum ist es am Vormittag eher „steppenartig“: v.a. Gräser und kleinwüchsige Bäume.
Bei einer Pause in Coronado fällt mir auf, wie einige Menschen sich in aller Ruhe miteinander über die Dinge ihres Alltags unterhalten. Sie scheinen Zeit zu haben. Nehme mir vor, in Zukunft mir auch mehr Zeit für Begegnungen zu nehmen.
Kurz darauf halte ich an einer offenen Kirche an. Gehe hinein. Spüre die große und tiefe innere Dankbarkeit, die ich für diese gelungene Reise empfinde. Plötzlich bricht das Taize-Halleluja aus mir heraus. Der Vers „Gehet nicht auf in den Sorgen dieser Welt, suchet zuerst Gottes Reich. Alles Andere wird Euch dazu gestellt“ kommt mir in diesem Moment wie die Überschrift über diese Reise vor. Ich denke auch noch einmal ganz besonders an den Höhepunkt dieser Zeit in Mittelamerika, unseren Gottesdienst mit Menschen aus Solentiname. In der wunderschönen Kirche, in der Ernesto Cardinal gewirkt hatte. Und wo wir nun Früchte dieser Zeit beim Bibel teilen ernten durften. Nie vergessen werde ich die einfachen, aber sehr tief gehenden Worte der Menschen von dort. Hier habe ich gespürt, wie Glauben und Leben eine Einheit bilden können, wie das Leben der Menschen in den Gottesdienst mit hinein fliesst und der Gottesdienst wieder Antworten auf die Fragen des alltäglichen Lebens der Menschen gibt.
Wieder ist es heiß, nach einem sehr flachen Teilstück zu Tagesbeginn kommt es nun wieder vermehrt zu etlichen Anstiegen und Abfahrten. Das Verkehrsaufkommen nimmt nun noch einmal deutlich zu. Die Straße wird nun zu einer Art Autobahn, sechsspurig. Sehr laut. Nun auch für mich stressig. Ich betrete den Großraum von Panama-ciudad, noch rund 80km bis zum Flughafen. Ich liege gut in der Zeit.
Letzte Pause. Kaufe noch einmal ein. An der Kasse wie immer noch jemand, der alle Lebensmittel (selbst die schon abgepackten) noch einmal in Plastiktüten einpacken will. Wieder raus auf den Highway. An mir vorbei donnernde LKW. Viele Aus- und Auffahrten. Muss immer aufpassen, dass ich mit den ab- und auffahrenden motorisierten Verkehrsteilnehmenden nicht kollidiere. Geht gut. Gibt keine Gefahrensituation.
Komme an den Panama-Kanal. Auch mich nicht besonders technikaffinen Menschen fasziniert die riesige Brücke über den Kanal, die Puente de las Americas. Sehe auch ein paar riesige Containerschiffe. Dazu einen Hafen. Der Kanal wurde nach einer Volksabstimmung vor 10 Jahren ausgebaut, der neu ausgebaute Kanal wurde vor knapp einem halben Jahr in Betrieb genommen. 80.000 Menschen haben durch den Kanal Arbeit. Seit 31.12.1999 ist der Kanal in Besitz von Panama. Vorher hatten die USA, die den Kanal von 1904 – 1914 erbauten (nachdem französische Arbeiter bei einem ersten Versuch gescheitert waren), die Hohheitsrechte an der Panamakanalzone.
Ich finde am Straßenrand eine schon etwas mitgenommene Flagge von Panama. Da in eineinhalb Jahren in diesem noch sehr katholischen Land (86% der Bevölkerung) der Weltjugendtag stattfindet, können meine KollegInnen in der Jugendarbeit diese kleine Flagge vielleicht noch gebrauchen. So nehme ich sie auf meinem Rad mit.
Ich muss nun noch 32km ganz in den Osten der Stadt. Ich orientiere mich nach Gefühl. Plötzlich bin ich auf einer wenig befahrenen, aber spektakulären Straße, die mich über den Pazifik um die historische Altstadt herum führt. Diese Altstadt wirkt auf mich sehr kolonial. Direkt dahinter Downtown Panama. Viele, viele Wolkenkratzer. Manche sehr hoch und riesig, andere kleiner oder extravagant. Manche einfach (wohl Wohnhäuser), andere spiegelfassadenverglast. Mitten im Zentrum wieder viel Verkehr. Viele Straßen. Wohin muss ich? Plötzlich ein Hinweis auf den Ortsteil Tocumen, nach dem der Flughafen benannt ist. Bin begeistert, mache mich auf die letzten 18km. Sehe – wie schon einmal in Costa Rica – Schilder, dass hier auf der Straße niemand mit dem Rad unterwegs sein darf. Ich fahre dennoch weiter, weil ich nicht weiß, wie ich sonst gut zum Flughafen komme. Breiter (und sauberer!) Seitenstreifen. So gut und sicher konnte ich schon lange nicht mehr fahren. Dann eine Mautstelle! Ein Polizist empfängt mich schon. Mir wird schnell klar, dass ich mit ihm nicht verhandeln kann. Es sei viel zu gefährlich. Er ruft jemanden an. Mir sagt er dann, dass er nun einen Pick-up bestellt habe, damit ich sicher zum Flughafen komme. 5km vor dem Ziel will ich nun aber nicht mehr in ein Auto einsteigen. Ich will die Ausfahrt nehmen. Der Polizist will mich zunächst nicht fahren lassen, willigt dann aber doch halbwegs ein. Ich komme durch Vororte. An einer schönen Bäckerei kaufe ich noch ein. Bekomme freundlich Auskunft, wie ich von hier zum Flughafen komme. Zweieinhalb Stunden vor dem Abflug bin ich da. Erleichtert und dankbar, dass alles so gut gegangen ist. Klimatisiert ist es im Flughafengebäude, fast schon kalt. Esse und trinke. Schraube meine Pedale ab, stelle meinen Lenker schräg. Will mein Rad aufgeben. Erhalte sofort die Auskunft, dass das nur mit Verpackung ginge. Iberia könne mir aber keine Verpackung geben. Ich zeige Ihnen wieder die auf Deutsch geschriebene Info des Pilger-Reisebüros, dass ich am Flughafen von Iberia eine Verpackung kaufen könne. Nutzt Nichts. Ich werde im Flughafen umher geschickt, eine Verpackung auf zu treiben. Später hilft mir dabei ein Mitarbeiter von Iberia. Wir finden Nichts. Was soll ich tun? Ich werde hingehalten, will aber gleichzeitig auch nicht einfach aufgeben. Plötzlich – nur noch eine Stunde bis zum Abflug – kommt Bewegung ins Spiel: die an der Abfertigung von Iberia hier Verantwortliche besorgt einige kleinere Kartons. Sie zerreißt diese in Stücke. Mit Hilfe von Mitarbeitenden und mir legen wir diese Kartonstücke um das Rad und befestigen den Karton mit eng darum geschwungenen Plastikfolien. Innerlich lache ich ein wenig über diese „Lösung“. Wenn das Rad nun unvorsichtig behandelt wird, ist das bisschen Plastik auch kein Schutz. Wohl aus diesem Grund bekomme ich dann bald noch die Aufforderung, dass ich mein Rad nun noch mit mehr Plastik umhüllen lassen müsste. Ich hoffe zunächst noch, dass ich dies umgehen kann, merke aber, dass die Mitarbeitenden nicht mehr mit sich handeln lassen. Entweder bleibt das Rad hier oder es wird durch noch mehr Plastik reiseferig gemacht. Gehe zu einem Menschen, der eine solche Maschine betreibt, mit der viel Plastik um alle möglichen Gegenstände geschlungen wird. Er will dafür 26 USD. Dann macht er eine Schicht Plastik nach der nächsten um mein Rad. In diesem Moment verbrauche ich, der sonst möglichst wenig Plastikmüll benutzen will, wohl mehr Plastik als in mehreren Lebensjahren. Mir tut das im Herzen weh. Ich denke an die immer mehr um sich greifende Plastikvermüllung in den Weltmeeren. Und an die Fische und sonstigen BewohnerInnen der Meere.
Nun muss ich aber schnell zur Passkontrolle. Katzenwäsche ist auch noch möglich. 10 min. vor dem geplanten Abflug am Flugzeug. Der Abflug verzögert sich dann um fast zwei Stunden. Der Kapitän entschuldigt sich häufig, der Flughafen und v.a. seine schlechte Gepäckabfertigung sei schuld…
Es ist bereits tiefste Nacht, als wir abfliegen. Bin sehr müde. Kann nach dem Abendessen immerhin auch mal gut eine Stunde am Stück schlafen. Es ist sehr eng. Meine Nachbarin hat Schlaftabletten genommen, wälzt sich dennoch von der einen auf die andere Seite.