Nun allein – Bosnien-Herzegowina erreicht

In der Nacht werde ich mehrfach von lauten Chinesinnen im Nachbarzimmer geweckt. Offenbar haben sie die Zeitumstellung noch nicht hinbekommen und sind schon extrem früh (ab 2 Uhr?) wach. Und können wohl leider auch nicht leise sprechen.

Friedrich steht extra mit mir auf, damit wir um 6:30 Uhr am Frühstücksbuffet sein können. Denn ich will recht früh los, weil ich auch heute wieder weit kommen will. Morgen Nachmittag will ich schon im gut 430 km entfernten Sarajevo sein. Friedrich und ich unterhalten und lange, über die heutigen Nationalratswahlen in der Schweiz, die EU, die Flüchtlingssituation in der Schweiz, Deutschland und der EU, über die Spannung zwischen Idealismus und Pragmatismus (in der Realpolitik) und über die Psychologie der Massen (wenn alle etwas Bestimmtes tun, ist es nicht einfach, dies anders zu entscheiden). Es hat mir gefallen mit Friedrich. Von daher ist es schade, dass sich unsere Wege nun trennen. Ich bin Friedrich dankbar, er hat mir den Einstieg in diese Reise deutlich erleichtert. Ich freue mich, wenn wir mal wieder zusammen unterwegs sind.

Ich suche die richtige Straße, verfahre mich erst ein wenig, komme dann aber mit Hilfe eines Einheimischen schnell in die „richtige Spur“. Das Wetter ist trüb, ab und an nieselt es etwas. Die Landschaft empfinde ich etwas langweilig (flach und „sumpfig“). Bald aber wird es wieder hügeliger und abwechslungsreicher.

Immer wieder sehe ich Apfelbäume und viele runter gefallene Äpfel. Irgendwann lachen mich diese Äpfel an und ich stoppe. Gerade als ich einen Apfel aufheben will, kommen aus dem gegenüberliegenden Haus Leute. Ich bin etwas verschämt. Sie merken das, muntern mich aber auf, Äpfel auf zu lesen. genau in diesem Moment fällt ein Apfel vom Baum – wir lachen alle. Ich hebe diesen gerade herunter gefallenen Apfel auf und fahre freundlich grüßend weiter.

Mir fallen viele verlassene Häuser(ruinen) auf. Manche davon wurden sicher auch zerbomt, aus anderen sind die Menschen wohl geflohen und nie mehr an ihren Ursprungsort zurück gekehrt. Auch viele bewohnte Häuser sind nicht verputzt. In einigen Orten finden läuten die Kirchglocken, etliche KirchgängerInnen fallen mir auf.

Viele – meist kroatische – Reisebusse überholen mich, die Meisten wohl auf dem Weg zum NP „Plitvicka jezera“ (Plitzwitzer Seen) – wenn ich mich richtig erinnere, wurden hier zumindest Teile der Winnetou-Filme gedreht. Gerne wäre ich auch durch diesen NP gefahren, ich will mich nun aber wieder etwas mehr in südöstliche Richtung begeben. Bald erreiche ich die Grenze nach Bosnien-Herzegowina. Die Grenzkontrollen sind nicht viel aufwendiger als gestern Abend. Die Szenerie ändert sich schlagartig: nach 2 km bereits eine erste große Moschee, viel mehr Leben auf der Straße, viele offene Geschäfte. Ein paar Kinder rufen mir zu, ein paar Erwachsene recken den Daumen nach oben, wenn sie mich sehen. Allerdings scheinen auch viele Dinge noch gleich oder ähnlich zu sein, z.B. die Sprache. U.a.  das immer wieder auf die Straße geschriebene Wort „skola“ zur Warnung, auf Kinder im Verkehr aufzupassen. Komme durch die größere Stadt Bihac. Ein flaches Tal, dann ein Anstieg mitten in eine lange Hochebene. Hier wird es immer ruhiger. Lange nur noch kleine Weiler. Viele offene Gras- und Brachflächen. Kaum Landwirtschaft zu erkennen.

Ich radle dahin. Merke immer merh (schon seit Tagen) einen Höhenschlag im Hinterrad. In Sarajevo will ich den mal zentrieren lassen. Sehe viele tote Tiere auf der Straße liegen. Und immer mal wieder noch lebendige, bellende, frei rum sträunernde Hunde, die aber anscheinend friedlich sind.

Am Nachmittag kommt dann doch noch die Sonne raus, es wird angenehm. Im abendlichen Sonnenlicht sehen die Berge mit ihren Herbstwäldern gleich noch reizvoller aus. ich komme in die Republika Srepska, die 49% der Landesfläche von Bosnien-Herzegowina einnimmt und im Vertrag von Dayton (1995) „den Serben“ zugeschlagen wurde. Nach hügeligen km erreiche ich Mrkonjic Grad. Dort ist nur ein teures Hotel erkennbar, daher will ich nach Jajce weiter fahren. Es wird dunkel, ich schalte mein Licht an. Sausende Abfahrt im Mondlicht. Plötzlich ein Motel, vielleicht noch 10km vor Jajce. Sie haben noch Platz, es ist auch noch recht preiswert, ich kann sogar in € zahlen, also checke ich ein. Esse noch eine Pizza. Viele Gäste essen ihre Speisen nicht auf (wie bei uns auch). Der Kellner wirkt, als müsse er eine ihm unangenehme Arbeit verrichten.

Denke an Friedrich, der hoffentlich bald in seinen Nachtzug einsteigen kann.