Erst der zweite grau-trübe Tag in den USA. Alles ein bisschen trostlos. Vergleichbar mit einer diesigen Novemberstimmung im Rheintal. Als Steigerung kommt Regen hinzu. Dann der große Strom des Landes, der Mississippi, über den ich auch den gleichnamigen Staat erreiche. Kein Raddampfer, kein Tom Sawyer, kein Huckleberry Finn. Bereits am frühen Nachmittag erreiche ich Greenville. In der Bibliothek gibt es Internet, also nutze ich es. Ich werde von jemandem angesprochen. Das passiert häufig in den USA, v. a. solange ich noch meine Radklamotten anhabe und damit als (Reise-)Radler identifizierbar bin. Also nichts Besonderes? Doch, dieser Mann ist etwas Besonderes! Ob ich auch nach Washington käme, denn dort könne ich bei seinem Bruder wohnen. Er war mit dem Motorrad schon von Mexiko bis Kanada unterwegs. Er schaut intelligent und aufgeweckt aus. Mit Hemd und Brille. Gebildet wirkt er auch. So bin ich überrascht, als er sich als »professioneller Billardspieler« ausgibt. Drei Bücher solle ich lesen (von George Orwell das auch schon von mir zitierte »Animal Farm« und »1984« sowie von Richard Bach »Jonathan Livingston Seagull«). Wir gehen durch die Straßen, er zeigt mir die Stadt. Träume hat er noch. Richtig begeistern kann er sich an ihnen. Toll! Und wirklich faszinierend wirken sie. Nur wird er sie wohl nie mehr umsetzen können. Und er ist viel zu intelligent, um das nicht selbst zu wissen. Und dennoch: Gegen jede Aussichtslosigkeit träumt er weiter! Er ist obdachlos, seine Heimat sei »planet earth«. Immer das Gleiche – die Penner gehören zum interessantesten Menschenschlag auf Erden. Viele Philosophen. Sie denken (zu?) viel nach. Zu intelligent? Genie und Wahnsinn liegen eben eng beisammen. Bye Tripod, ich werde dich NIE vergessen! Außerhalb der Stadt suche ich ein Motel. Sturm mit heftigem Gewitter kommt auf. Wieder gemütlicher Abend. Beim kurzen Spaziergang auf dem Weg in den Shopping-Center fällt mir auf, dass ich als Weißer hier absolut in der Minderheit bin. Fast nur Schwarzafrikaner. Dagegen scheint der Einfluss der Mittelamerikaner hier deutlich geringer als im Südwesten des Landes. Nun bin ich richtig in den Südstaaten, also in jenen 11 Staaten der USA, die sich 1861 zu den »Konföderierten Staaten« zusammengeschlossen hatten. Warum? Der Norden der USA war bereits recht industrialisiert, während im Süden große Plantagen durch den Einsatz von Sklaven bewirtschaftet wurden. Dann wurde der Sklavereigegner Abraham Lincoln zum Präsidenten der USA gewählt. So traten jene 11 Südstaaten aus, es kam zum Bürgerkrieg, dem ersten Krieg mit schweren automatischen Waffen, der schließlich mit der Kapitulation der Konföderierten 1865endete. Dennoch hielten die Südstaaten die Rassentrennung bis in die 60er Jahre unseres Jahrhunderts aufrecht. Aber in den letzten Jahren hat es mit der Integration der Schwarzen hier besser geklappt als in den Großstädten des Nordens, wo Armut und Arbeitslosigkeit neue Segregationsgrenzen schufen.