In der Nacht habe ich wieder kaum geschlafen. Entsprechend gerädert bin ich am Morgen. Beim Frühstück im chinesischen Zelt kann ich heute nicht mehr widerstehen. Als es – außer Martin – gerade niemand sehen kann, nehme ich mir ein »Snickers«, das ich später mit Martin im Zelt teile. Hm, was für ein Geschmack! Wir erfahren, dass die chinesische Expedition heute um 12:00 Uhr Richtung Base-Camp aufbrechen will, ob ihre drei verbliebenen Kumpels in der Zwischenzeit eintreffen oder nicht. Raue Sitten in den Bergen. Aber alle wollen zurück und v. a. die Yaktreiber machen Druck, da die Yaks hier kein Futter mehr haben. Wir haben ein weiteres, wenn auch kleineres, aber doch sehr unangenehmes Problem: Unsere Schuhe und Strümpfe sind von unserer gestrigen Tour im Schnee noch total nass, zudem liegt jetzt eine über 10 cm hohe Schneedecke. Kalte Füße. Aber gegen 11:00 kommt die Sonne raus und der Schnee schmilzt recht schnell dahin, so dass unsere meisten Sachen (inklusive Zelt) sogar noch einigermaßen trocknen können. Um die Mittagszeit sehen wir am Horizont die drei bisher noch vermissten Chinesen am Horizont auftauchen. Gott sei Dank! Bald danach verabschieden wir uns. Nicht nur von den Chinesen, sondern auch von Wout, der sich noch nicht sicher ist, ob er nun auch zurück oder ob er doch versuchen soll, sich dem Chomolungma so nah als möglich zu nähern. Zur Zeit scheint man aber wegen zuviel Neuschnee nicht viel weiter als bis auf 7000 m Höhe kommen zu können. Eine japanische Expedition wird schon seit Tagen angekündigt, bis sie aber versuchen werden, den Chomolungma zu besteigen, wird es bereits Anfang September sein. Dann wird das Wetter besser und sie (hoffentlich) auch genügend akklimatisiert sein. Fernando, Martin und ich laufen los, wir haben des öfteren noch einen phantastischen Blick auf den Chomolungma und die umliegenden höchsten Bergriesen der Erde. Leider verweigert meine Kamera jegliche Arbeit. An einem Zwischenlager hat die kanadisch-französische Expedition ihre übrig gebliebene Verpflegung für Wout deponiert. Vor zwei Tagen beim Aufstieg haben wir das Paket lange gesucht, aber nicht gefunden. Nun entdeckt es Martin zufällig und wir können nicht widerstehen: Neben den in den letzten Wochen übermäßig genossenen Instant-Nudeln und Armee-Keksen finden wir auch solche Leckereien wie Tunfischdosen und Trockenobst. Wir essen uns satt und stellen den (großen) Rest des Pakets – sichtbar für Wout – an den Wegesrand. Bei diesem »Bubenstreich« vereint sich bei uns ein tolles Gefühl, endlich mal wieder was »Richtiges« zwischen die Kiemen zu kriegen, mit einem schlechten Gewissen. Dieses versuchen wir damit zu beruhigen, dass es eigentlich die Ration der Kanadier war, Wout somit nicht damit rechnen konnte und dass er es wahrscheinlich auch wieder nicht gefunden hätte, da es (zu) gut versteckt war. Und durch Martins Glücksgriff hat er doch noch zusätzliches Essen für mehrere Tage. Und wir hatten Freude. Bei jedem Tritt über die Moränenhänge ist Vorsicht angesagt, schnell rutscht man da weg; und das v. a. mit dem Gepäck und dem unhandlichen Zelt auf der Schulter oder in den Händen. Manche steile Passage führt über schmale und schmalste Pfade – direkt neben Hunderte von Metern in die Tiefe führenden Abhängen. Von dem langen Marsch erschöpft, kommen wir kurz vor Einbruch der Nacht wieder im Base-Camp an. Die »zweite Hälfte« der fünfzehnköpfigen chinesischen Expedition ist hier stationiert. Und da die Verbindung mit dem Walky-Talky mit der »anderen Hälfte« nicht funktioniert, überschütten sie uns mit Fragen nach ihren Freunden. So unterhalten sich Fernando und ich – nachdem wir unsere Zelte aufgeschlagen haben – noch bis tief in die Nacht bei Kaffee (meinem ersten seit Tehran) und Tee im chinesischen Zelt mit den Studenten von der Uni in Peking. Fernando erzählt ihnen auch – durch die zuvor herrschende vertrauliche und auch offene Atmosphäre ermuntert – von seinen Problemen mit der Polizei im Osten Tibets. Dies alles können sie ebenso wenig glauben, wie dass es illegal für Ausländer ist, mit dem Rad durch Tibet zu fahren. Die Ideologie scheint auch bei diesen Studenten gegriffen zu haben. Sie erzählen uns von Reformen in China in letzter Zeit, aber auch, dass es für Chinesen so gut wie unmöglich sei, mal aus China raus zu kommen.