In der Nacht träume ich zum ersten Mal seit Jahren mal wieder von Erlebnissen in der Schule, im Speziellen von dem verhassten Sportunterricht. Wir spüren noch die lange Etappe vom Vortag. Entsprechend schwerfällig geht heute alles vonstatten. Aber bis um 17 Uhr haben wir in Kesan, 30 km hinter der griechisch-türkischen Grenze zu sein, um meine Post noch vor dem Wochenende zu bekommen. Ein Bad im Meer verhilft uns zu etwas mehr Frische. Doch ausgerechnet heute haben wir einen extremen Gegenwind. So wird heute von uns eine wahrhaft sportliche Leistung abverlangt. Ich fahre absolut am Limit, schneller geht es nicht mehr. Ich keuche, kämpfe gegen den Wind, fluche, dass dieser auch überhaupt nicht nachlassen kann. Wir erreichen die Grenze. Grenzübergänge werden immer komplizierter. Nach österreich und Italien sind wir ohne jede Kontrolle gelangt, das Schengener Abkommen greift hier bereits. Am übergang nach Griechenland mussten wir noch unsere Pässe zeigen, aber hier zur Türkei müssen wir fünf Stellen passieren, die unseren Pass sehen wollen. Gerhard braucht gar noch ein Visum, was mir als deutschem Staatsbürger erspart bleibt. Hinter der Grenze erwartet uns der erste Kulturschock auf unserer Tour. Die Menschen sind hier scheinbar noch um einiges ärmer als in den für unsere Verhältnisse eh schon ärmlichen ländlichen Gegenden Griechenlands. Man sieht nur alte Autos aus Südeuropa, Busse und Lkws aus den Sechzigern (oft zudem noch völlig überladen) sowie Pferde- und Ochsenkarren. Die Straßen werden auch zunehmend schlechter, Nebenstraßen sind oft gar nicht asphaltiert. Der Wind lässt nach, wir erreichen um 16.47 Uhr das Postamt in Kesan und ich erhalte glücklich meine heimische Post. Alle Anspannung fällt von uns ab und wir beschließen, uns heute hier ein Hotel zu leisten. Der Preis haut uns fast um: Zwei Millionen türkischer Lire! Wer glaubt, dass wir inzwischen im Lotto gewonnen haben, irrt. Denn das sind umgerechnet pro Person 7.50 DM!!! Abends wollen wir weggehen, doch um Mitternacht ist überall leider schon absolut »tote Hose«.