Liebe RadsportfreundInnen,
hier mein Bericht von der heute durchgefuehrten Rad-Berg-WM („Canpionato del Mondo della Montagna Trento – Monte Bondone“):
Wegen meiner spuerbar guten Form bitte ich meien Tochter eine Woche vor der Berg-WM, mir fuer eben diese „frei“ zu geben, obwohl sie an diesem Wochenende ihren 7. Geburtstag feiert. Sie willigt ebenso wie meine Frau (mal wieder) sehr verstaendnisvoll ein. Kurzfristige Planungen (Anmeldung, Uebernachtung, Anreise etc.).
Reise mit meinem Vater schon freitags an, Uebernachtung nur 3km unterhalb des Ziels auf rund 1400 m Hoehe. Das ist super, denn da kuehlt es v.a. in der Nacht gut ab.
Samstag vormittag eine Testfahrt auf der morgigen Rennstrecke. Praege mir die Uebergaenge ein, fahre ueberraschend schnell in 1:00:39 h, damit nur eindreiviertel min. ueber meiner letzjaehrigen Zeit. War das zu viel Einsatz? Ansonsten ein ganz gemuetlicher Nachmittag/Abend mit meinem Vater.
Sonntag morgen frueh wach. Mein gewohntes schlichtes Fruehstueck (Muesli mit Obst). Fahre in Ruhe hinab zum Start in Trento. Dort schon ganz schoen warm, am Start rund 25 Grad im Schatten, wobei es den fast nicht gibt. Bei der Anmeldung habe ich meine Radsportrennlizenz vergessen, gebe an, dass ich sie im „arrivo“ nachreiche. Fahre warm, u.a. auch noch die ersten 4km der Rennstrecke. Langsam, dennoch in der Hitze gar nicht so leicht. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Ich spuere, dass ich ungewohnt angespannt bin, wie schon lange nicht mehr vor einem Rennen. Bin ich gut drauf? Haette ich nicht doch noch eine Kleinigkeit essen sollen (habe meine Banane vor dem Start vergessen), bekomme ich am Ende unterwegs Hunger, gar einen Hungerast? Christoph, jetzt ist es wie es ist. Bleib cool. Setze Dich nicht unter Druck, weder von irgend einem Platz im Gesamtklassement (Top 5?) oder in der Altersklasse (in meiner AK fahren mit Werner Weiss und Allesandro Magli zwei der besten Bergradfahrer der Alpen, das WM-Trikot erscheint von daher unrealistisch) noch von der Zeit (wuerde gerne eine 56er-Zeit fahren).
Komme um 8:49 Uhr ins Startgelaende, die Organisatoren lesen bereits die Namen aller Startenden vor. Meiner kommt nicht (mehr?) vor, ich vergewissere mich bei den Oragnisatoren, dass ich ganz regulaer dabei bin. Um 8:57 Uhr gibt es dann bereits den Start, allerdings erst mal noch 3km hiter dem Auto. Ich reihe mich in der ersten Reihe ein, bin hoch konzentriert und werde heute nicht nach hibnten „verdraengt“. Das ist ja schon ein guter Beginn.
Um 9:03 Uhr kurz hinter der Etschbruecke dann die richtige Startfreigabe: 19km mit 1450 Hoehnemter trennen uns vom Ziel. Nur Wenige ueberholen mich. Nach wenigen hundert Metern ist mir das Tempo zu verhalten. Ich uebernehme die Spitze. Bald danach ein erster Ausreissversuch, ich lasse die Leute fahren. Schnell habe ich sie aber wieder eingeholt und gehe auch direkt wieder an die Spitze. Dieses Spiel wiederholt sich auf den 2 – 3 naecshten km noch ein paar Mal, dann ueberholt mich erst mal niemand mehr. Ich sehe, dass in Sardagna max. nur noch 15 Leute an meinem Hinterrad hanegen. Ich bin schnell unterwegs (in der Ortsmitte 13:55 min.), bereits ueber 2 min. schneller als gestern zum gleichen Zeitpunkt. Ich versuche mein hohes Tempo bei zu behalten. War ich vielleicht doch zu schnell? Ich merke schon richtige Anstrengungen. Aber es scheint mir noch ganz gut zu gehen. Unsere Gruppe wird kleiner und kleiner. Ich fahre wie bei einem Bergeinzelzeitfahren. Nur, dass ich noch eine hungrige Meute von vielleicht noch 10 Mann direkt am Hinterrad kleben habe. Ein tirolerisch sprechender junger Fahrer (Start.nr. 139) ueberholt mich und meint, dass ich schneller fahren muesse, da „noch alle“ folgen wuerden. Ich sage ihm, dass er doch ruhig fahren soll. Schnell aber faehrt er wieder langsamer und ich uebernehme wieder die Spitze. Das Rennen wird hart, in Candriai nach gut der Haelfte der Strecke sind nur noch 4 Fahrer an meinem Hinterrad (einer im Weltmeistertrikot, einer im Trikot des italienischen Meisters, dazu Alessandro Magli und der junge Suedtiroler). Ich bin nach wie vor schnell, schon 3:20 min. schneller als gestern. Wenn wir das Tempo einigermassen beibehalten, wird es auch eine gute Zeit. Aber mir faellt es zunehmend schwerer. Aber es gelit nur durch zu halten. Ich bin nicht hierher gekommen, um ein gutes „Zweidrittel-Rennen“ abzuliefern. Ich bin nun zweieinhalb Tage und den Geburtstag von hanna weg, weil ich hier das maximal Moegliche herausholen will. Ich sehe, wie nur noch der junge Suedtiroler mir folgen kann, die Maenner im italienischen und Weltmeistertrikot muessen fast zeitgleich reissen lassen. Wahnsinn! Bald darauf greift der junge Fahrer an, ich will ihm nicht folgen. Schnell hat er ein Loch von 50 m gerissen. Aber relativ flott kann ich das Loch auch wieder zufahren – und gleich auch wieder die Spitze des Feldes uebernehmen. Mir faellt auf, dass der Junge eine Wahnsinnsuebersetzung (50 – 23?) faehrt! Aber er schnauft ziemlich. Kann ich am Ende gar Weltmeister werden? Dann muesste ich ihn allerdings unterwegs abhaengen. In einer Kehre sehe ich, dass der italienische Meister sich langsam wieder ran kaempft, der Mann im Weltmeistertrikot (vermutlich Werner Weiss, der diesjährige und schon mehrfache Gesamtsieger der Tour Transalp) aber inzwischen wohl auf Platz 4 fest hängt. Tatsächlich erfolgt bald der Zusammenschluss mit dem italienischen Meister, wir sind nun wieder zu Dritt. An meiner letzten persoenlichen Zeitnahme sehe ich, dass wir ein bisschen von unserem hohen Tempo eingebuesst haben. Die beiden Italiener sprechen miteinander, ich verstehe Nichts von ihrem Inhalt. Scheinbar sind sie aber Teamkollegen und haben eine gemeinsame Strategie. Weiterhin bin aber ich derjenige, der das Tempo macht. Ich schalte mal hoeher, mal wieder runter, immer dem jeweiligen Gelände angepasst. Langsam geht es ins Finale. Am Hotel „Norge“, in dem wir seit vorgestern Abend logieren, knapp 3km vor dem Ziel scheint mir klar, dass ich die Beiden nicht mehr los werden kann. Ich rechne damit, dass sie mich „absprinten“ werden. Ich schaue mich einmal um, der Viertplazierte ist noch nicht zu sehen, ich werde auf einem Podiumsplatz finishen – und bin bereits hoch zufrieden. 1,5km vor dem Ziel uebernimmt der junge Suedtiroler die Pace, der Mann im italienischen Meistertrikot faehrt voll an seinem Hinterrad, ich muss mich an dritter Stelle einreihen. Kurz vor dem „roten Teufelslappen“ ruft der eine dem anderen einige Worte zu, von denen ich nur „attac“ verstehe. Hier ist wohl nicht das globalisierungskritische Netzwerk, dem ich auch angehoere, gemeint, sondern „Angriff“. Beide ziehen auch – fuer mich unwiderstehlich – davon. Ich versuche dennoch mich anstaendig aus der Affaire zu ziehen. Daher fahre ich mein Tempo weiter, versuche es sogar noch einmal leicht zu erhoehen. Es faellt mir schwer. Der Junge fuehrt deutlich vor dem italienischen Meister. Einige Autos, die zum Rennen gehoeren, wollen wohl den Zieleinlauf mitbekommen, ueberholen mich daher nun. Die Autos haengen dann zwischen dem italienischen Meister und mir fest. Noch 500, 400, 300 m. Ich kann die beiden Ersten nicht mehr einholen. Der Junge gewinnt, der italienische meister wird Zweiter, ich Dritter in 56:27 min. (fast zweieinhalb min. schneller als im vergangenen Jahr). Habe 16 der 19km gefuehrt, bin mein Rennen gefahren – und habe wohl alles richtig gemacht. Bin happy! Rolle noch ein paar Meter aus, hole wieder etwas Luft und fahre ein bisschen stolz retour zum Ziel zu meinem Vater. Einige Fotografen nehmen mich ins Viosier, Blitzlichtgewitter um mich herum. Einige Reporter wollen meinen namen wissen und woher ich komme. Inzwischen kommt als Vieter Werner Weiss und gleich darauf Allesandro Magli ins Ziel. Die beiden Erstplazierten kommen zu mir. V.a. der Zweite, Christian Pinton (vor 14 Tagen gerade der Sieger des Giro delle Dolomiti) gratuliert mir zu dieser Fahrt herzlich. Ich ihm im Gegenzug natuerlich auch. Auch der Sieger, Michael Tumler, zeigt sich freundlich: ohne mich waere er nicht so schnell ins Ziel gekommen… Allesandro Magli kommt her, gratuliert mir fast ueberschwenglich und sehr herzlich. Ich habe ein bisschen Mitleid mit ihm. Vor 5 Wochen in Bormio war er so super drauf und blieb bei seinem Sieg 4 min. vor mir. Und heute ist er leider geschlagen. Toll aber, dass er auch in der Niederlage so ein herzlicher und respektvoller Mensch ist, der ganz bescheiden ist. Marina Illmer kommt mit neuem Streckenrekord als Siegerin bei den Frauen in gut 1:05 h ins Ziel. Ich geniesse diesen grossen Erfolg, vermutlich nach meinem Hoehenmeterweltrekord mein groesster radsportlicher Triumph.
Fahre noch den halben Anstieg von der anderen Seite und besuche dann mit meinem Vater die Siegerehrung, wo ich eines der wenigen von mir begehrten materiellen Teile dieser Welt, das Weltmeistertrikot der Vateranen 2012, uebergezogen bekomme. Was fuer ein Erfolg! Es hat sich gelohnt, den weiten Weg hierher zu fahren. Danke an meine Tochter und meine Familie, auch an meinen Vater, der mich begleitet hat.
Weitere Infos zur Königstuhl-Stoppomat-Strecke unter www.gsmarzola.it.
Wir fahren nun heim. Heute Nacht werden wir wieder in der Pfalz eintreffen.
Herzliche Grüße,
Christoph