Liebe RadsportkollegInnen,
nachdem ich nun seit Wochen ein starkes Bergrennen nach dem anderen absolviert hatte, stehen nun zwei Rennen in einer „anderen Disziplin“ an: zwei Bergmarathons, bei denen jeweils mehrere Alpenpässe absolviert werden und die Renndauer meine sonstigen Rennen um ein Vielfaches überschreitet. Als Läufer, der erst im „Alter“ angefangen hat, auch Rad zu fahren, habe ich nie gelernt flott abzufahren (hat mich allerdings auch nie wirklich interessiert, weil ich nur die Berge schnell hoch fahren wollte) und rechne damit schon im Vorfeld, dass ich auf den Abfahrten bei so einem Bergradmarathon rund eine Viertelstunde Zeit liegen lasse. Dazu kommt, dass ich als einer der Wenigen (als Einziger?) aus der Spitzengruppe kein Betreungsteam habe und die Verpflegung (wie die Vielen aus der Masse auch) selbst organisieren muss. Und nicht zuletzt habe ich kaum für solch langen Rennen trainiert.
Von daher fahre ich mit sehr geringen Erwartungen zum ersten dieser beiden Bergradmarathons, dem „Highlander“: er führt über 187km mit etwas über 4000 Höhenmetern, über Bödele, Hochtannberg- und Flexenpass sowie Faschina- und Furkajoch. Mein Ziel ist, in etwa 5:45 h ins Ziel zu kommen. Damit wäre ich vermutlich auch unter den schnellsten 20 klassiert. Und meine Zielzeit beim Ötztaler (7 1/2 h) schiene dann auch realistisch.
9.8.
Den Tag über auf der „Goldenen Hochzeit“ meiner Schwiegereltern. Am frühen Abend besteige ich den Zug und komme um 22:38 Uhr in Hohenems (Vorarlberg) an, wo ich bei einem Studienfreund (Roland Sommerauer) und dessen Familie übernachten darf. Ein weiterer Freund aus Tirol (Lienhart Troyer) übernachtet auch hier. Trotz der späten Ankunftszeit setzen wir uns abends noch ein wenig zusammen, um uns zu unterhalten. Dabei bietet Roland mit seiner Familie mir an, mir morgen im Rennen vor den beiden letzten Bergen etwas zu essen und zu trinken zu reichen.
10.8.
Nach kurzer Nacht klingelt schon um 5 Uhr der Wecker. Um 6:30 Uhr überrascht uns ein Regenschauer, die Straßen sind nass. Kurz vor dem Start begebe ich mich in das Startgelände, ich kann mich noch in die erste Startreihe der 1300 Teilnehmenden aufstellen. Nach dem Start geht es flott aus Hohenems heraus. Für mich ist es unangenehm, mit so vielen Radfahrern unterwegs zu sein. Kaum lasse ich eine kleine Lücke, stoßen Andere in diese hinein. So werde ich immer weiter nach hinten durchgereicht, verliere mitten im Feld den Überblick (dass nun Kreisel kommen etc.). Bin so froh, dass es nach 11 min. in Dornbirn den ersten Aufstieg hinauf zum Bödele gibt. Habe schon eine min. auf die Spitze verloren, bin vielleicht auf Platz 300 zurück gefallen. Komme nun erstmal gar nicht so leicht an den vielen FahrerInnen vorbei, bald geht das aber besser und ich finde auch meinen Rythmus. Mal geht es steiler, mal flacher. Auf langen Gerade kann ich ab und an auch mal die Spitze erkennen, der Abstand pendelt weiterhin bei einer min. – ich überhole Viele. 2km vor dem ersten Gipfel hole ich die erste Verfolgergruppe (mit dem Südtiroler Werner Weiß) ein, fahre auch schnell an ihr vorbei, um mir noch ein bisschen Vorsprung vor der ersten Abfahrt raus zu fahren, um unten mit dieser Gruppe an zu kommen, damit ich das lange Flachstück im Bregenzerwald nicht alleine fahren muss. Nach 28 min. passiere ich die erste Passhöhe des Tages (1135 min.), auf der noch immer nassen Straße fahre ich dann alleine bergab. In den Kurven bremse ich ziemlich stark ab, wundere mich, dass die erste Verfolgergruppe fast bis Schwarzenberg braucht, um mich ein zu holen. Wir sind nun zu Sechst hinter einer wohl rund zehnköpfigen Spitzengruppe. Wir fahren mit sehr hohem Tempo, wechseln uns ständig in der Führungsarbeit ab (belgischer Kreisel). Ich empfinde dieses Tempobolzen als sehr anstregend, spüre meine Oberschenkel. Wir holen fünf Leute, die aus der Spitzengruppe zurück gefallen sind, ein. Plötzlich geht der Rythmus verloren, wir werden sehr deutlich langsamer. Die Meisten nutzen dies, um etwas zu essen. Das Essen (bzw. die Getränke) bekommen die meisten Fahrer in dieser Gruppe aus Begleitautos gereicht. Ich habe mir zwei Flaschen gerichtet, eine davon habe ich in einer Trikottasche hinten. Habe mir Haferflocken unter die Soyamilch gemischt, leider zu viele – denn alles ist verklumpt. Will ich was trinken/essen, muss ich den Deckel der Radflasche abmachen. Bei dem Tempo nicht einfach. Mehr als ein paar Schlucke bekomme ich nicht hin. Mein Brot bleibt unangetastet, das nun zu kauen, kann ich mir kaum vorstellen. Ich hoffe, dass mir die Haferflocken (und das ausgiebige Frühstück) reichen. Durch das langsame Fahren hat uns auch die zweite Verfolgergruppe aufgerollt, wir sind nun rund 20 Mann hinter einer fünfköpfigen Spitzengruppe. In unserer großen Gruppe haben mich einige gegrüßt, die ich nicht kannte, die aber von mir schon Manches gehört oder gelesen haben und sich nun freuen, mit mir in einer Gruppe zu fahren. Endlich beginnt ab Schröcken der Hochtannbergpass nun richtig. Wir bekommen 3 min. Rückstand auf die Spitze (Jörg Ludewig und vier Italiener, alles ehemalige Radprofis) gemeldet. Ich fahre den Berg (1690 m) meist an der Spitze, auf den letzten beiden km setze ich mich wieder ab, um wieder mit Vorsprung in die Abfahrt gehen zu können. Das klappt auch gut, kann dabei auch wieder etwas trinken. In der Abfahrt werde ich dann von 6 Fahrern aufgerollt – der Rest hängt nun erstmal wieder zurück. Stefan Kirchmayr, der auch ein eigenes Team hat, beschimpft mich, dass ich hoch so schnell fahre. Ich erkläre ihm, warum ich das tue, was ihn aber nicht wirklich besänftigt. In dieser Gruppe fühle ich mich nun dennoch wohl, denn die Leute können prima Rad fahren, da habe ich keine Angst vor Kollissionen. So sausen wir durch Warth und Lech, bevor es nun den Flexenpass (1773 m) hoch geht. Den fahre ich wieder von der Sitze unserer Gruppe, setze mich aber diesmal nicht ab, nachdem mir einer versichert hat, dass die folgende Abfahrt sehr einfach sei und sie mich „mitnehmen“ würden, denn „im Flachen sind wir um jeden Mann, der sich an der Führungsarbeit beteiligt“, dankbar. „Wir wollen doch versuchen die Spitzengruppe noch aufzufahren“, was ich angesichts der Qualität der Fahrer in dieser Gruppe für nicht realistisch halte. Die Abfahrt geht durch Tunnel und Galerien, aber ich komme tatsächlich mit. Klasse! Abzweigung auf die Arlbergstraße. Nun geht es sehr schnell bergab. Danach ein paar enge Kurven. Ich verliere gaaaanz langsam den Anschluss. Mist! Da komme ich nun auch nicht mehr dran. Jetzt wird der Abstand natürlich immer größer, bald ist er auf eine halbe min. angewachsen, bald sehe ich niemanden mehr aus meiner Gruppe. Ich bin ganz allein, hinter mir sind auch noch keine Verfolger zu erkennen. Ich fahre flott, aber natürlich niemals so schnell, wie in einer Gruppe, die sich ständig in der Führungsarbeit abwechselt. Zudem verliere ich solo natürlich mehr Energie. Erst nach 25 km, kurz vor Bludenz, holt mich eine Gruppe von hinten kommend ein. Ist schon angenehm, nun wieder in der Gruppe fahren zu können. Kommen bald nach Ludesch. Haben hier 7 min. Rückstand auf die Spitzengruppe und gut drei min. auf die erste Verfolgergruppe, die ich auf der Abfahrt ziehen lassen musste. Hier stehen Roland, seine Frau Christine und die drei Kinder. Sie nehmen mir meine beiden inzwischen weitgehend leer getrunkenen Radflaschen, geben mir dafür zwei volle – und dazu noch ein paar getrocknete Datteln sowie eine bereits geschälte Banane, die ich sofort esse. Wahrscheinlich bin ich der einzige der vorne plazierten Fahrer, der einen richtigen Stopp gemacht hat, mehr als eine halbe min. wird es aber nicht gewesen sein. Meine Gruppe ist natürlich weg. Da es nun aber wieder ansteigt, macht das Nichts. Ich trinke die eine Radflasche gleich fast leer, es ist meine erste Cola seit 4 Jahren. Bald habe ich meine Gruppe aufgeholt, an den Meisten kann ich gleich vorbeifahren. Nur zwei hängen sich an mein Hinterrad. nach Raggal kommt eine Zwischenabfahrt, ab Sonntag steigt es nun ordentlich an. Meine beiden verbliebenen Begleiter lassen mich bald ziehen. Ich fühle mich auch nicht mehr frisch, aber mein Rythmus ist o.k. Unterwegs ruft mir einer plötzlich zu, ob ich nicht der „Pfarrer mit den Birkenstock“ wäre. Lächelnd nicke ich. Er fände das prima. Ich will meine Datteln essen. Leider ist die Papiertüte so aufgeweicht, dass sie nun viel Löcher hat und ich etliche Datteln verliere. Die, die mir noch geblieben sind, esse ich. Sehr trocken und höchstens suboptimal. Bald hinter Fontanella wird es steil. Hier muss ich kämpfen. Kurz vor dem Faschinajoch (1486 m) hole ich zwei Abgehängte aus der ersten Verfolgergruppe ein. Einer kann mir direkt nicht mehr folgen, der Andere hängt sich an mein Hinterrad. Er ist sehr nett, erinnert mich an unser gemeinsames Rennen „Trento – Monte Bondone“, die Amateur-Berg-WM 2012. Es ist Christian Pinton, der damalige Bergweltmeister. Nach einer kurzen Zwischenabfahrt fahren wir gemeinsam durch Damüls. Im Steilstück hat er Schwierigkeiten, mir zu folgen. Als es flacher wird, geht es wieder. So habe ich Christian bis zum Furkajoch (1756 m) in meinem Schlepptau hängen. In der Abfahrt überholt er mich natürlich. Sie ist oben ziemlich schnell und hat einige enge Kurven. Zusammen mit dem normal weiter laufenden Autoverkehr empfinde ich das als ziemlich gefährlich. Ich bremse vor den Kurven stark ab – und verliere Christian entsprechend. Bald sausen zwei Kollegen mit einer um vielleicht 20km/h höheren Geschwindigkeit als ich an mir vorbei. Was machen die, wenn ihnen in einer Kurve ein Auto entgegen kommt?
Ich selbst habe bald ein „dickes“ Auto mit Schweizer Kennzeichen vor mir. Der Fahrer bremst mich in jeder Kurve aus. Aber auch wenn ich mit ihm zu fluchen beginne und ihn bitte, mich doch endlich vorbei zu lassen, dauert es bis 1km vor Ende der rund 20km langen Abfahrt in Rankweil, bis er mich endlich vorbei lässt. Die komplette Abfahrt bin ich allein gefahren (bis auf meinen „treuen“ Autobegleiter). Nun noch zwölfeinhalb km bis zum Ziel in Hohenems. Ich überhole Einige, die die kürzere Runde gefahren sind. Aber niemanden aus dem Highlander-Rennen. Ich bin überrascht, wie flott ich noch fahren kann, auch kleine Steigungen, z.B. bei Götzis, hinauf. Kurz vor Hohenems habe ich den Eindruck, dass von hinten eine flotte Truppe zu kommen scheint. Aber schnell wird klar, dass sie mich nicht mehr einholen werden.
In 5:46 h komme ich als Zwölfter ins Ziel. Von der Platzierung her bin ich sehr zufrieden, von der Zeit her nicht ganz. Der Abstand zu den Ersten ist mit 25 min. zu hoch. Natürlich habe ich wohl fast nur in den Abfahrten und Flachstücken verloren. Aber ich hätte meine Taktik, meiner Gruppe vor der Bergkuppe zu enteilen, um die Abfahrt gemeinsam mit der Gruppe beenden zu können, auch am Flexenpass anwenden sollen. Dann wäre ich sicherlich deutlich schneller gewesen. Ebenso habe ich nun ein Gefühl dafür bekommen, wie ich Verpflegung während solcher Rennen zu mir nehmen kann. Und welche Verpflegung besser sein könnte.
Für den Ötztaler habe ich also Manches gelernt – und bleibe dadurch optimistisch. Auf den Abfahrten konnte ich zeitweise sogar mithalten und ich hatte auch in keiner Situation das Gefühl, dass ich mich nun einer Gefahr aussetze. So bin ich insgesamt gesehen doch ziemlich zufrieden.
Im Ziel habe ich viele, viele nette Gespräche (über zwei Stunden lang in der „Verpflegungszone“) mit „alten Bekannten“ wie mit Leuten, die ich bisher noch nicht kannte. Von unserem www.gutesleben-fueralle.de-Team kommen Tobias und Gregor gemeinsam ins Ziel. Tobias hat sich leider bei Warth verfahren (fuhr Richtung Reutte) und war am Faschinajoch total platt (musste sogar mal gehen), Gregor hatte die Kette sehr unglücklich verloren. Später kommt auch Lienhart ins Ziel, auch er musste ab dem Faschinajoch sehr kämpfen, was nach nur knapp 1000Rad-km in diesem Jahr nicht verwundert.
Ich wurde noch Dritter in meiner Altersklasse, so dass ich geehrt werde. Dabei wird immerhin dreimal der Name unserer Kampagne genannt und Jörg Ludewig findet noch ein paar anerkennende Worte zu mir.
Da das Wetter in Tirol für die folgenden Tage nicht gut sein soll, entscheide ich mich spontan anstatt nach Tirol (Ötztalerstrecke anschauen/abfahren) heim zu fahren, was bis Stuttgart regulär klappt. Dort fahren für mehrere Stunden keine Züge in meine Heimat, wo es anscheinend heftige Gewitter gab. So bekomme ich – wie viele anderen Reisenden – eine Nacht in einem Stuttgarter Hotel von der DB bezahlt.
Mehr Infos zum Rennen unter www.highlander-radmarathon.at
Nun starte ich erst am 31.8. wieder bei www.oetztaler-radmarathon.com
Herzliche Grüße,
Christoph