Begegnung mit jugendlichen Steinewerfern

Schlafe kurz, aber tief. Flavius weckt mich. Steht extra schon wieder mit mir auf. Macht mir noch ein Frühstück und einen Kaffee. Grandiose Gastfreundschaft!

Kurz vor Sonnenaufgang sitze ich wieder auf dem Rad. Schöne Morgenstimmung im Wald. Mal wieder eine unglaubliche Route, die mir meine Navigation weist. Plötzlich stehe ich mitten in Maisfeldern! Bin aber angeblich immer noch auf meiner Route! Über eine abenteuerliche Brücke (immer noch meine Route!) komme ich wieder auf eine Straße. Vom Morgentau und dem tiefen Gras bin ich ganz nass. Aber es wird ja schon wieder warm. Komme bald darauf an den Fuß der Transfagarasanstraße. Steigt erst nur wenig an. Viele Touristen. Viele haben direkt an der Straße übernachtet und stehen gerade auf bzw. sitzen beim Frühstück. Der Pass lässt sich super fahren. Nie steil. Das Verkehrsaufkommen nimmt mehr und mehr zu. Die letzten 7km sind fast so spektakulär wie die Ostseite vom Stilfserjoch: eine Kehre reiht sich an die nächste. Erwarte oben – am höchsten Punkt des TCR mit über 2000m – Kontrollpunkt 4. Da ist er aber nicht. Nur viele Buden für die Touristen. Krame meine Unterlagen raus. Finde noch einen bestimmten Namen für den Kontrollpunkt4. Frage, ob den jemand hier kennt. Ja, da müsse ich noch etliche km ins Tal hinab fahren. Das tue ich dann auch. Frage nochmal nach, muss noch tiefer. Endlich komme ich am Kontrollpunkt an, werde sehr freundlich begrüßt. Unterhalte mich mit den Freiwilligen, die hier einen Dreitageseinsatz absolvieren. Die Meisten sind mit dem Rad hierher gekommen, z.B. ein Radfahrer aus Bukarest, der vor drei Jahren selbst das TCR mitgefahren war und eine Woche vor der Geburt seines Sohnes ins Ziel kam! Für ihn war das TCR etwas ganz Besonderes und da möchte er dem TCR etwas zurück geben. Zudem bedeutet dieser Freiwilligendiesnt in diesem Jahr, dass er im nächsten Jahr auf jeden Fall beim TCR starten dürfte. Ich frühstücke noch, unterhalte mich mit anderen Freiwilligen. Alle sind sehr entspannt, machen in ihren Arbeitspausen dann selbst eine Radtour. War als 11. hier. Als ich starten möchte, kommt gerade die Nr. 88 an. Diesmal ganz entspannt, offenbar mit Teilen seiner Familie. Sehr freundlich. Er kommt scheinbar aus Rumänien. Wir verabschieden uns, ich will endlich weiter. Denn im Anstieg hier herauf kam mir die Idee, dass ich gerne den schnellsten Teilabschnitt vom letzten Kontrollpunkt bis zum Ziel in Griechenland fahren würde. Bin sehr zufrieden mit den wunderbaren Begegnungen, die ich bisher haben durfte, auch mit der großen Anteilnahme, die mir von Freunden und Bekannten entgegen gebracht wird und die auch auf Renovabis und meine Anliegen für ein ökologischeres und sozialeres Europa, das sich solidarisch mit den anderen Weltteilen zeigt, ausstahlt. Aber sportlich bin ich noch nicht zufrieden. Will wenigstens unter 11 Tagen ins Ziel kommen, deutlich noch in die Top 10 vorstoßen und mir selbst zeigen, dass ich bei diesem Rennen auch noch weiter vorne landen könnte.

Inzwischen ist es schon fast Mittag und sehr viel Verkehr. Es geht auf und ab. Sehr lange. Ich bin froh, als ich endlich ganz im Tal bin und auf kleinere Straßen komme. Die Straßen werden sogar ganz klein, oft fast unbefahren. Teilweise aber auch schlecht. Und in diesen Regionen kann ich mit € leider meist nicht bezahlen. Frage zwar immer mal wieder in Restaurants und kleinen Lebensmittelgeschäften, die auch am Sonntag auf haben, nach – bekomme aber immer eine Absage. So ernähre ich mich heute am Nachmittag nur von Eis an Tankstellen. Dort kann ich mit EC-Karte zahlen!

Abends bei Slatina finde ich ein Restaurant, in dem ich auch Tomatensalat und sogar warme Sandwiches mit EC-Karte zahlen kann. Will heute noch an die rumänisch-bulgarische Grenze, noch rund 80km. Buche ein Zimmer in einem einfachen Hotel im Grenzort mit 24h-Rezeption. Trinke zum ersten Mal an einem Tag noch einen zweiten Kaffee.

Nach langer Pause fahre ich weiter. Trotz des zweiten Kaffees bleibe ich ein bisschen müde. Überlege kurz, ob ich in Caracal ein Hotelzimmer nehme. Finde aber kein Hotel, das noch geöffnet hätte. Fahre also wie geplant weiter. Geht sogar etwas besser, freue mich auf das nahende Hotel und die Schlafgelegenheit. Geschätzte 10km nach Caracal knallt mir in einem Dorf urplötzlich ein harter großer Gegenstand an die Hüfte. Vor Schreck und Schmerz schreie ich auf. Höre daraufhin ein Lachen. Drehe mich um und erkenne Jugendliche. Will ihnen zurufen, aber sie werfen sofort weitere Steine auf mich. Ich habe Angst, ducke meinen Kopf und Oberkörper, bin zum ersten Mal in meinem Leben um meinen Helm froh und trete so kräftig ich kann in die Pedale. Mich treffen die Jugendlichen Gott sei dank nicht mehr, aber mein Rad schon noch. Nach rund 2 km merke ich, dass keine Luft mehr in meinem Hinterreifen ist. Irgendwie bin ich noch leicht geschockt, so dass mich der Plattfußgar nicht stark bewegt. Will den Schlauch – bei Dunkelheit (es ist bereits nach Mitternacht!) – flicken. Als ich den Schlauch raus genommen habe, fahre ich mit dem Finger die Felge ab, um nach möglichen spitzen Gegenständen zu suchen. Plötzlich erschrecke ich: die Felge ist von einem Stein stark nach innen verbogen. Ich suche alle Gegenstände, die ich dabei habe, ab – aber leider habe ich Nichts dabei, womit ich die Felge wieder gerade biegen könnte. Ich kann also Nichts mehr tun, denn mein neuer Schlauch ginge sofort wieder kaputt auf einer solch verbogenen Felge.

Ich versuche, eines der wenigen Autos an zu halten. Aber alle fahren vorbei – obwohl ich freundlich versuche zu winken und auf mein defektes Rad zeige. Direkt neben der Straße ist ein kleiner Streifen mit etwas Gras. Ich beschließe, mein Rad und mich selbst dorthin zu legen – und ab zu warten, bis es wieder hell wird.