Eierndes Rad – tolle Menschen (Engel Gottes?)

Obwohl es sehr mild bleibt wird mir kalt, denn ich habe keine lange Hose dabei. Lege mir irgendwann in der Nacht mein Ersatztrikot und mein T-shirt über die Beine. Dann kann ich wieder ab und an schlafen. Höre dazwischen immer mal wieder an Auto direkt an mir vorbei fahren. Auch Wind weht ständig, teilweise stark.

Langsam wird es hell. Ich stehe auf. Versuche wieder Autos zu stoppen. Wieder fahren Einige vorbei. Zwei halten dann immerhin an, können mir aber aus verschiedenen Gründen nicht weiter helfen. Ein Dritter stoppt dann richtig, hört mir sofort empathisch zu. Sprachlich können wir uns nicht verständigen, aber mit Gesten und Mimik klappt das ziemlich gut. Ich habe den Eindruck, dass er meine Geschichte von letzter Nacht total verstanden hat und mein Problem am Rad erkennt er sofort. Tatkräftig holt er eine Zange, schaut mich fragend an, ob er damit mein Hinterrad wirklich bearbeiten soll. Ich stimme zu. Er biegt die Felge wieder ziemlich gerade! Dann lädt er mein Rad in seinen Lieferwagen hinten ein. Sein Auto ist voller Brot, er ist der Bäcker der Region und muss das Brot nun in die umliegenden Bäckereien mit nehmen.

Unterwegs erkundigt er sich nach dem Weg, hin zu einem Automechaniker. Irgendwann sind wir da. Ich bin dem Bäcker sehr dankbar. Für seine konkrete Hilfe. Und mindestens genauso für seine positive Art, die mir auch wieder Lebensmut vermittelt. Er setzt mich ab. Zeigt mir das Haus des Automechanikers und seine daneben liegende Werkstatt und kann mir ohne Worte nahe bringen, dass er wohl erst gegen 8 Uhr öffnet, er nun aber leider weiter muss. Wir verabschieden uns herzlich. Er steigt in seinen Lieferwagen ein – und kommt dann doch noch einmal herbei. Mit einem Brot. Er will es mir schenken. Ich bin gerührt. Er wohl auch. Er schaut mich lange an und ich meine in seinem Gesichtsausdruck in etwa folgende Botschaft lesen zu können: „Es tut mir leid, was Du gestern Nacht erlebt hast. Ich habe Dich aufgelesen und konnte Dir helfen. Der Automechaniker wird Dir vermutlich weiter helfen können. Ich aber muss Dich nun verlassen, weil ich meine Brote in die Bäckereien der Region bringen muss. Dieses eine Brot lasse ich Dir da. Einerseits ganz schlicht zum essen, weil Du vielleicht auch nicht mehr viel Lebensmittel bei Dir hast. Andererseits aber auch als Zeichen, dass ich weiterhin an Dich denke und Dir alles Gute wünsche.“ Diese Botschaft finde ich sehr stark, sie berührt mich tief. Deshalb nehme ich das Brot auch dankbar an, auch wenn es mich ein wenig beschämt, dass der Bäcker, der vermutlich materiell deutlich ärmer als ich ist und der mir nun eh schon sehr geholfen hat, mir nun auch noch ein Brot schenkt. Nach normalen menschlichen Regeln müsste eher ich dem Bäcker etwas als Zeichen meiner Dankbarkeit schenken.

Kurz darauf bin ich allein, setze mich auf eine kleine Bank, esse das Brot und trinke Wasser aus meiner Radflasche. Dann warte ich. Bis der Automechaniker aus seinem Haus tritt. Direkt renne ich zu ihm hin. Versuche ihm alles zu erklären. Auch der Automechaniker hört mir sehr empathisch zu, obwohl schnell deutlich wird, dass er auch kein Englisch versteht. Aber auch er versteht die Sprache des Herzens, hat schnell meine Situation erfasst. Bedeutet mir, dass er noch einmal dringend fort muss, sich danach aber um mich kümmern kann. Fragt mich aber noch, bevor er geht, ob ich einen Kaffee möchte. Ich bin irritiert, dass der Automechaniker mich so etwas fragt. Bin nach dieser Nacht im Straßengraben nicht abgeneigt. Kurz darauf bringt er mir einen Kaffee – und geht. Wieder warte ich. Als er zurück kommt, geht er gleich an mein Hinterrad. Schnell wird klar, dass er es aber nicht zentrieren kann. Daher können wir nur den neuen Schlauch einsetzen und aufpumpen. Inzwischen kommt seine Frau und fragt mich, ob ich frühstücken mag. Da ich das Brot gegessen habe, habe ich noch keinen Hunger. Dann aber fragt sie mich gar, ob ich nicht duschen will. Nach der Etappe in der gestrigen Hitze und der Nacht im Straßengraben ist das ein super Angebot, das ich gerne annehme. So dusche ich bei eigentlich wildfremdem Menschen, im Haus des Automechanikers, Wahnsinn. Tut sehr gut. Physisch wie psychisch. Bekomme noch einen Kaffee. Will bezahlen. Aber der Automechaniker will absolut kein Geld. Weder für die Reperatur noch für den Kaffee und wohl erst recht nicht für die Dusche. Toll, unglaublich, beschämend.

Wir verabschieden uns. Ich radle rund 13 km retour zu dem Ort, an dem ich im Straßengraben übernachtet habe. Dann endlich geht es weiter, fast zwölf Stunden nach den Steinewürfen…

Knapp zwei Stunden später bin ich dann endlich in dem rumänischen Grenzort Bechet. Mein Rad eiert stark, aber immerhin kann ich fahren. In Bechet suche ich das Hotel auf, in dem ich eigentlich letzte Nacht noch schlafen wollte. Da die Zeit in diesem Rennen nun eh keine Rolle mehr spielt, suche ich das Hotel. Erkläre dem Mann an der Rezeption, warum ich nicht kommen konnte und frage ihn, ob ich noch zahlen soll. Er zeigt viel Verständnis, freut sich, dass ich nun doch noch vorbei komme und dass es mir den Umständen entsprechend gut geht. Er will auch kein Geld. Stattdessen kann ich das Wifi des Hotels nutzen. Schildere per whatsapp meine Situation und bekomme bald sehr interessante Deutungen von Mitgliedern der whatsapp-Gruppe, die mir wie schon häufiger in den letzten Tagen helfen, meine Erfahrungen und Erlebnisse besser einordnen zu können. Dem Portier kommt dann noch der Gedanke, dass nebenan ein Kollege in einer Art Baumarkt ist, der nebenbei auch Räder repariert. Wir gehen zu ihm. Er hat zwar auch keinen Zentrierschlüssel, aber mit einer Zange könnte er versuchen, das Eiern des Hinterrades zu reduzieren. Da es eh kaum mehr schlimmer werden kann, ermuntere ich ihn es zu versuchen. Er gibt sich alle Mühe. Und tatsächlich wird es etwas besser. Bis Sofia in rund 200km sollte es so funktionieren. Von hier muss ich über die Donau. Über eine Fähre. Die geht aber nur alle zwei Stunden. Eine ist gerade gefahren. Aber was soll es? Bin müde. Kurz bevor ich das Hotel bei brütender Nachmittagshitze verlassen muss, schlafe ich fast ein. Zur Fähre. Ein ganz alter, klappriger Kahn. Kein Sonnenschutz. Keine Sitzgelegenheit. Aber nette bulgarische Motorradfahrer. Einer, Yavor, kommt auf mich zu. Ob er merkt, dass es mir nicht so gut geht? Er schenkt mir einfach eine Art Müsliriegel. Das sei eine bulgarische Spezialität, die viel Energie gebe. Er fragt mich, wie es mir geht. Ich erzähle ihm von meiner Situation. Er ist ein wunderbarer Zuhörer. Ein weiterer Engel (Gottes), der mir heute geschickt wird! Er und seine FreundInnen kommen gerade von einer mehrtägigen Motorradtour aus Rumänien zurück. Sie erzählen mir von guten Radgeschäften in Sofia, geben mir ihre Telefonnummer, falls ich morgen in Sofia nicht weiter kommen sollte. Nicht zuletzt erhalte ich von ihnen noch etliche Tipps über gute und auch schlechte Straßen von hier bis zu meinem Ziel in Nordgriechenland. Angeregte Gespräche, von der Donau bekomme ich daher fast Nichts mit. Dann ist die Fähre an ihrem Ziel, wir haben Bulgarien erreicht. Wir verabschieden uns. Auf dem Rad fühle ich mich nicht gut. Müde, schlapp. Antriebslos. Fahre dennoch weiter. Am Abend erreiche ich Wraza, kaufe dort Lebensmittel ein. 20km später biege ich in ein kleines Tal ab, das mir Yavor sehr ans Herz gelegt hat. Kaum Verkehr, aber kaum länger nach Sofia als auf der Hauptroute. Und dazu wunderschön. Von Bergen eingerahmt. Allerdings wirkt es so, als hätten die Menschen in diesem Tal schon deutlich bessere Zeiten erlebt: viele Häuser wie auch Fabrikanlagen verlassen, Hotels geschlossen. In Zverino finde ich aber endlich noch ein offenes Hotel. Sieht luxeriös aus. Für mich sehr preiswert. Aber selbst jetzt in der Hauptsaison kaum Gäste! Noch Ärger mit der Hotelmanagerin. Aber ich habe keine Kraft mehr zum streiten, will nur noch schlafen. In meinem Zimmer angekommen, muss ich mich mehrfach übergeben. Kann dann bald schlafen, wunderbar.